Solides Remake: „Schneewittchen“ ist die Aufregung nicht wert

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Rachel Zegler als Schneewittchen
Foto: © Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

Diese Woche startet „Schneewittchen“ in den Kinos. Von einer Katastrophe ist das kontroverse Disney-Remake ein ganzes Stück entfernt.

Man ist inzwischen an das Spiel gewöhnt. Ein weiteres Mal träumt man bei Disney vom verlorenen Paradies. Das meint die früheren Glanzzeiten, in denen der Konzern noch tatsächlich bahnbrechende Werke kreiert hat. Inzwischen taugen diese kanonischen Filme nur noch als abgegriffene Schablonen, um das schnelle Geld mit halbgaren, schnell vergessenen Content-Produktionen an den Kinokassen abzuschöpfen. Ein Zeichentrick- und Animationsfilm nach dem anderen bekommt seine Neuauflage verpasst. Und den Familien verkauft man es als kreativen Fortschritt, dass all die ikonischen Bildwelten nun vermeintlich realer aussehen und mit echten Menschen wiederaufgeführt werden. Als sei die Abstraktion vom Gezeichneten hin zu etwas künstlerisch Realem ein Makel, den es zu überpinseln gilt.

Im Fall von „Schneewittchen“ ist jenes verlorene Paradies nun auch in eine Handlung übersetzt. Ungefähr eine halbe Stunde länger als das Original von 1937 dauert dieses Remake. Die zusätzliche Laufzeit wird vor allem genutzt, den Charakteren mehr Persönlichkeit zu verleihen. Und ein neuer Handlungsstrang rund um eine Räuberbande in den Wäldern gesellt sich ebenfalls dazu. Er wird in dieser Version des Märchens den Prinzen ersetzen, der Schneewittchen bekanntlich aus ihrem Todesschlaf wachküsst. Ringsherum sucht man nach einer gerechteren, friedlicheren Welt, die man in der Vergangenheit entdeckt zu haben glaubte. Wenn Schneewittchens Eltern zu Beginn noch über das Reich herrschen, wird dort Freude überall gezeigt. Und der König und die Königin mischen sich unter das tanzende Volk.

Foto: © 2024 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

„Schneewittchen“ verpasst dem alten Märchen ein Update

Okay, von einer tatsächlich klassenlosen Gesellschaft will Disney dann doch nicht träumen. Am Ende gibt es auch in „Schneewittchen“ die Herrscher und die Beherrschten. Letztere können lediglich auf die im Film so oft beschworenen Tugendhaftigkeit der Privilegierteren hoffen, damit ihnen das Leben nicht zur Hölle gemacht wird. Da können alle Beteiligten noch so heiter in strahlend weißen, angeglichenen Kleidern musizieren, als würde man gerade für die neue Waschmittel-Werbung proben. Ihre Ungleichheit erkennt man allein an dem räumlichen Übergang der einfachen Häuser zu dem imposanten Märchenschloss, das nebenan auf der Klippe thront.

In „Schneewittchen“ kommt die böse Königin aus der Ferne und reißt die Macht an sich. Sie militarisiert die Gesellschaft, hetzt die Menschen gegeneinander auf. Die Zeit des Teilens und des vermeintlichen Paradieses für alle ist vorbei. Es herrscht das Recht des Stärkeren. Von nun an gibt es nur Luxus bei den Herrschenden und Armut beim Fußvolk. Das weitere Gerüst des Märchens und des alten Disney-Films ist dabei geblieben: Schneewittchens Flucht in den Wald, ihr Aufenthalt bei den sieben Zwergen („Hei ho!“) und schließlich die Vergiftung durch den Apfel. Neu ist die Auflösung dessen.

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Überzogene Kontroversen

Man kann zunächst einmal die hitzigen Diskussionen um die Besetzung oder auch die politischen Aussagen der Hauptdarstellerinnen Rachel Zegler und Gal Gadot getrost ignorieren. Natürlich, wer bereits wutschnaubend an die Decke geht, weil Familien-Blockbuster heute darum bemüht sind, möglichst divers besetzt zu sein und viele Menschen zu repräsentieren, der mag sich munter weiter über „Schneewittchen“ echauffieren und über jedes diskursive Stöcken springen.

Fakt ist jedoch: Diese neue Version des Märchens ist inhaltlich komplexer gestrickt als das Original und das sind zunächst erfreuliche Nachrichten. Wenngleich das keine allzu große Kunst ist, sieht man sich den alten Zeichentrickfilm heute noch einmal an! Der Widerstand gegen die Eifersucht der bösen Königin wird hier jedenfalls nicht mehr nur als blass gezeichnete und zuvorderst eigennützige Schwärmerei ausgetragen. Wachgeküsst und ab zum Schloss im Himmel; die anderen, die zuvor noch halfen, können im Unterholz bleiben – ganz so schlicht wie im Original geht es im neuen „Schneewittchen“ nicht zur Sache.

Rachel Zegler als Schneewittchen
Foto: © Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

Gewohnte Disney-Marotten

Das Remake von Regisseur Marc Webb versucht zumindest, eine vage Utopie zu entwerfen, zwischen Menschen zu vermitteln und über gesellschaftliche Verhältnisse nachzudenken. Auch wenn es von den erwähnten Hierarchien nie gänzlich abrücken will und seine ewigen, belehrenden Friede-Freude-Eierkuchen-Predigten auf Dauer reichlich nervig geraten sind. So oder so dürfte „Schneewittchen“ in einigen Monaten ein ähnliches Schicksal ereilen, das die meisten Disney-Remakes ereilt hat, nämlich das der Bedeutungslosigkeit. Die lobenswerten Ambitionen und Aktualisierungen von „Schneewittchen“ auf erzählerischer Ebene gleichen sich mit der sonstigen ästhetischen Einfallslosigkeit aus.

Denn all die Schwachstellen der meisten Disney-Remakes, bei denen sich „Schneewittchen“ irgendwo im oberen Mittelmaß einordnet, sind auch hier zu finden: emotionale Kälte, schwache Musical-Nummern, die schleppend mäandernde Erzählweise, die visuelle Hässlichkeit und mögen die all die historischen Kostüme noch so opulent geschneidert sein. Wenn hier Menschen sprechen, lieben, kämpfen, vor digital verfremdeten, entsättigten Hintergründen und zwischen Animationen umherstreifen, dann ist dort wenig Lebendiges und Erinnerungswürdiges zu finden. „Schneewittchen“ als ’solides‘ Remake zu bezeichnen, soll den Film vor der überzogenen Verteufelung retten, die ihn schon vor Kinostart ereilte. Zugleich verdeutlicht es die ganze Langweiligkeit dieses berechenbaren Märchenaufgusses.

„Schneewittchen“ läuft seit dem 20. März 2025 in den deutschen Kinos.

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19 Kommentare im Forum
  1. Eher Vollkatastrophe. Bin mal auf die Zuschauer Zahlen fürs Kino gespannt. Wird sicherlich ein großer Flop.
  2. Man sollte sich selbst ein Bild machen von dem Film, als ihn gleich abzuwerten. Wir lassen uns am Dienstag in die Märchenwelt von Walt Disney entführen. Mal schauen, vielleicht schneidet der Film gar nicht so schlecht an der Kinokasse ab. Er spricht zuallererst Familien und Kinder an.
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