Das provokante Drama „No Dogs Allowed“ beleuchtet das Thema Pädophilie aus ungewohnter Perspektive – und hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.
Hin und wieder traut sich ein Film an dieses Tabu. Vor einigen Jahren erschien etwa der großartige „Kopfplatzen“ mit Max Riemelt in der Hauptrolle. Riemelt spielt darin einen Mann, der sexuell an Kindern, an kleinen Jungs interessiert ist. Es war einer der seltenen künstlerischen Versuche, daraus weder eine pathologische Verteufelung und Dämonisierung noch eine bloße Angstfantasie zu stricken. Stattdessen versuchte sich „Kopfplatzen“ an einem differenzierten, sensiblen Charakterporträt eines Mannes, der mit seinen eigenen Trieben kämpft. Ein Film also, der ein Bewusstsein für eine Lebensrealität schafft, die von permanentem Verdrängen geprägt ist und von dem Wissen, dass das Nachgeben gegenüber der eigenen Begierde zu einer Straftat führt. Dieses Werk entschuldigte natürlich nichts, schon gar keinen sexuelle Missbrauch Minderjähriger, aber er hat ein vages Verständnis für das Leben von Menschen mit einer solchen sexuellen Präferenz entwickeln können. Tabus und Stillschweigen nützen hier nichts.
In „No Dogs Allowed“, einem weiteren Vorstoß in dieses kontroverse Thema, der kürzlich im ZDF-Nachtprogramm verheizt wurde, ist die Lage noch komplizierter. Der Protagonist in diesem Drama ist selbst fast noch ein Kind. Gabo (Carlo Krammling) ist 15 Jahre alt und hat erkannt, dass er pädophile Neigungen besitzt, die sich gerade auf den kleinen Bruder seines besten Freundes richten. In einem Online-Chat nimmt Gabo Kontakt zu einem Mann Namens Dave auf, einem Erwachsenen, der ebenfalls pädophil ist. Dave, gespielt von Robin Sondermann, wird Gabos Bezugsperson. Sie treffen sich regelmäßig. Mit ihm kann er über das reden, worüber er mit seiner Mutter, seiner Schwester, seinem gesamten Umfeld nicht sprechen kann. Weil er so tickt wie er, ihm Ratschläge geben kann, wie man mit der Neigung leben kann. Doch bald beginnt Dave, die Lage auszunutzen.
„No Dogs Allowed“ erzählt von Pädophilie aus jugendlicher Perspektive
Allein dieses Szenario, das Eingestehen von Pädophilie im Jugendalter, in einen Spielfilm, eine Geschichte über das Erwachsenwerden zu verwandeln, ist so grenzüberschreitend, zwingend und mit einer solchen Unerschrockenheit angepackt, dass man nur den Hut ziehen kann. Allein die Verschiebung der Perspektive hin zu einer jugendlichen Lebensrealität bringt dabei eine konsequente Verfremdung mit sich. Sie lässt auch das Publikum einen möglicherweise vorgefertigten Blick auf dieses Tabuthema neu justieren. Und natürlich schließt sich daran eine hochgradig unangenehme Konstellation an. Das Machtgefälle, das sich zwischen Gabo und dem viel älteren Dave entwickelt, ist kaum auszuhalten.
„No Dogs Allowed“ entschließt sich jedoch dazu, nicht wegzusehen. Auch dann nicht, wenn es zu sexuellem Missbrauch, zu eindeutigen Übergriffen kommt. Zumindest in einem Rahmen, der zumutbar bleibt und die Situation nicht voyeuristisch ausschlachtet. Dass der Film dennoch Auszüge dessen zeigt und sie nicht einfach als Leerstellen in der Handlung belässt, ergibt absolut Sinn, weil darüber die Dynamiken, manipulativen Rhetoriken und Facetten der Gewalt eines solchen Übergriffs deutlich und reflektierbar werden.
Ein erschütternder Fernsehfilm
Nicht weniger schwer erträglich geht der Film dann weiter, wenngleich in einer anderen Tonalität, mit anderen erzählerischen Mitteln. „No Dogs Allowed“ wird zu einem Kriminalstück und zu einem Thriller. Dave wird verhaftet. Die Polizei schaltet sich ein und findet heraus, dass der verheiratete Mann auch zu Gabo Kontakt hatte, für den sich ein immer brenzliger werdendes Versteckspiel anschließt. Der Jugendliche, der gerade selbst mit seiner Identität kämpft, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht, wie er seine Zukunft planen soll, wird in die Behördenarbeit verwickelt. Immer weiter raubt ihm die Situation die Luft zum Atmen und niemand ist da, dem er sich in seinen Erfahrungen und seinem Sein anvertrauen kann oder will. Er traut sich nicht, empfindet Scham.
Carlo Krammling liefert in der Hauptrolle eine der erschütterndsten schauspielerischen Leistungen, die man seit langer Zeit sehen konnte. 22 Jahre ist der Schauspieler alt und zeigt hier eine immense Bandbreite an lesbaren emotionalen Zuständen. Er schafft es, das Publikum an sich zu fesseln, mit ihm zu leiden. Diese Darstellung brennt sich ein! Auch deshalb, weil die Regie von Steve Bache, die Kamera von Manuel Meinhardt und das Szenenbild von Anika Klatt ein so suggestiv düster werdendes Farbenspiel inszenieren und die brechenden Blicke des Hauptdarstellers gekonnt zu der filmischen Welt in seine Beziehung setzen.
Zwischen Beobachtungen, scheuen Ausdrücken, Smartphone und Online-Chats schweift die Kamera getrieben umher. Schauspiel und Bildgestaltung formen hier einen unscheinbaren, aber sehr komplexen, wenn man genauer hinschaut, Dialog, der die Grenzen zwischen charakterlicher und medialer Wahrnehmung in ein Spannungsverhältnis setzt und dessen Grenzen ausreizt. Am Ende entsteht daraus ein eindringliches Werk über jugendliche Scham im Allgemeinen und die Bilder, die sie nutzt, produziert, die sie verfolgen und quälen.
„No Dogs Allowed“ verdient mehr Aufmerksamkeit
„No Dogs Allowed“ meistert somit einen beachtlichen inhaltlichen Balanceakt, der zudem einen passenden Schluss findet. Er bietet ansatzweise ein Ventil für all das, was sich während der 100 Minuten angestaut hat. Eine naive, leicht befriedende Lösung kann und will er hingegen nicht präsentieren. „No Dogs Allowed“ stammt aus der Schmiede des „kleinen Fernsehspiels“ des ZDF. Das kleine Fernsehspiel hat in den letzten Jahren diverse sehenswerte Filme und unter anderem den nicht minder aufrüttelnden „Systemsprenger“ mitverantwortet. Nimmt man doch dieses Beispiel: „Systemsprenger“ wurde in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen, kam danach in die Kinos, sorgte international für Aufsehen, bescherte der Nachwuchsdarstellerin Helena Zengel Rollen in Hollywood. Zu Recht!
„No Dogs Allowed“ hätte jedoch einen ähnlichen Siegeszug verdient. Schwer verständlich, warum dieser grandiose, unvergessliche Film neben einem preisgekrönten Festival-Auftritt in Tallinn so sang- und klanglos versendet wurde. „No Dogs Allowed“ gebührt eigentlich die Aufmerksamkeit weiterer Festivals und vor allem ein Kinostart! Er braucht Diskursformate, Rahmungen. Natürlich: In TV und Streaming können ihn mehr Leute sehen als im Kino, gerade bei so einem schwierigen Thema. Gleichzeitig wird er damit von Anfang an zu Content deklassiert. Ein Film von vielen, die jede Woche in die Streaming-Portfolios gespült werden. So oder so, da sich die Auswertungsstrategie nun nicht mehr ändern lässt, kann man dem ZDF gratulieren, diesen Geheimtipp in seinem Programm zeigen zu können. Und jeder sollte ihn sehen.
„No Dogs Allowed“ feierte seine Erstausstrahlung am 18. November im ZDF. In der ZDF Mediathek kann man ihn ein Jahr lang streamen.
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