„Megalopolis“: Der „Pate“-Regisseur präsentiert ein schillerndes Spätwerk

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Adam Driver auf dem "Megalopolis"-Plakat
Foto: Constantin Film

Francis Ford Coppola („Der Pate“, „Apocalypse Now“) veröffentlicht mit „Megalopolis“ sein Herzensprojekt und einen der außergewöhnlichsten Hollywood-Filme der jüngeren Vergangenheit.

Der Mensch bleibt besessen, die Zeit anzuhalten. Gerade dann, wenn sich Untergangsstimmung einstellt, wenn das Leben einem Drahtseilakt gleicht, den der von Adam Driver gespielte Protagonist gleich im Auftakt sinnbildlich vollführt. In luftiger Höhe, auf dem Dach eines riesigen Gebäudes taumelt er am Abgrund, nur um kurz vor seinem Absturz per Zaubertrick die Welt in einen Stillstand zu versetzen. Mehrfach wird dieser Trick in unterschiedlichen Formen durchgespielt. Besonders imposant während der Sprengung eines Gebäudes, dessen Explosion und Rauchwolke plötzlich in der Luft gefrieren.

„Megalopolis“ demonstriert damit nur ein Wesensmerkmal der Magie, die allein im Kino und der Welt der bewegten Bilder möglich ist. Und es bleibt nicht dabei! Es ist erstaunlich, was Francis Ford Coppola hier geschaffen hat. Dekaden hat dieses Projekt in Anspruch genommen und Unmengen an Geld verschlungen, ehe es im Frühjahr 2024 endlich Premiere in Cannes feierte und nun in den deutschen Kinos zu sehen ist.

Die USA als römisches Imperium

„Megalopolis“ wirft einen Blick in die Zukunft, in denen sich die USA in ein Pendant des untergehenden römischen Reichs verwandelt haben. Die Figuren tragen Namen wie Wow Platinum, Cesar Catilina und Franklyn Cicero. Es ist die Vergangenheit in der Zukunft und umgekehrt. Ein anachronistischer Film zwischen allen Zeiten. Das New York, das Coppola auf die Leinwand bringt, erscheint als surrealer, dekadenter Sündenpfuhl, in dem sich die Wohlhabenden als Statuen verwirklichen oder imposanten Wagenrennen in umgebauten Broadway-Arenen beiwohnen.

„Von diesem Moment an arbeiten wir ohne Netz!“, tönt es dort während einer waghalsigen Trapez-Nummer. Der Film selbst hat sich an diesem Punkt schon längst von jedem Sicherheitsnetz verabschiedet. Er hat keine Angst vor dem Fallen und er wird fallen, weil er seine eigene Vergänglichkeit erfahrbar werden lässt, die Zeit, die alles mit sich reißt. Und doch versucht man noch – vor und hinter der Kamera – etwas Großes für kommende Generationen zu schaffen. Ohne Scheu, dabei das größtmögliche Chaos zu riskieren.

Arena in "Megalopolis"
Die Spiele der Zukunft und Vergangenheit. Foto: 2024 Lionsgate

Francis Ford Coppola bringt ein überbordendes Kaleidoskop auf die Leinwand

„Megalopolis“ ist ein Publikumsschreck sondergleichen, bei dem man wenige Minuten braucht, um zu erahnen, wie stark er polarisieren wird. Kein Verleih dieser Welt wird sich mit ihm wohl eine goldene Nase verdienen können. Mit einem Anspruch an Kohärenz und Geradlinigkeit ist diesem Film gar nicht erst beizukommen. Es ist nicht leicht ihm zu folgen, sich seinen tonalen Querschlägern auszusetzen. Er kann einem regelrecht Kopfschmerzen bereiten, so lang, grell, schillernd und überbordend ist dieses filmische Kaleidoskop geworden, das sich selbst immer wieder neu durchschüttelt und hofft, das ein paar faszinierende Gebilde dabei herauskommen.

Dabei ist der Kern eigentlich recht scharf umrissen. Die Kritik an der Dekadenz und politischen Ignoranz der Reichen und Mächtigen ist schnell erfasst und dort ebenso schlummert der Stoff, mit dem Francis Ford Coppola zuvorderst in seinen kanonischen Werken Apocalypse Now und der Pate-Trilogie Filmgeschichte schrieb. Auch in „Megalopolis“ ist die Faszination für Machtgestalten groß, die sich in ihre eigenen Reiche zurückziehen, versuchen, die Welt nach ihren Geschicken zu verwalten, und sich längst in Fantasiegebilden eingerichtet haben. Nur mit dem Unterschied, dass die Zeit von derlei Film-Epen weitgehend vorüber zu sein scheint. Also bleibt die Flucht ins Experiment.

Megalopolis mit Adam Driver und Nathalie Emmanuel auf einer Uhr
Träumen von der Stadt der Zukunft Foto: 2024 Lionsgate

„Megalopolis“ stellt die Frage nach einer besseren Zukunft

„Megalopolis“ ist eine inszenatorische und erzählerische Baustelle, die nie zur Vollendung gelangt, bei der man nur immer neue Schlaglichter und Visionen erhaschen kann, die aber völlig bewusst kein stimmiges Ganzes mehr ergeben. Sie decken sich so mit der Frage nach dem Utopischen und einer lebenswerten, besseren, nachhaltigen Zukunft sowie den Bildern einer neuen, kommenden Großstadt. Und der Film will jenes Utopische nicht als gebrauchsfertige Lösung, sondern als Formulieren von Fragen verstanden wissen.

Adam Drivers Cesar ist der Architekt im Zentrum von „Megalopolis“. Zwischen Müll-Modellen oder hoch oben über der Stadt, drapiert auf einer riesigen Uhr, schwebt ihm Visionäres vor. Er verstrickt sich in seine Obsessionen und will mit seinem Baumaterial Megalon, das mal Gebäude, mal Kleider, mal Verbandsmaterial formt, eine utopische Welt entwerfen. Zwischen Machtkämpfen, rauschhaften Partys und der Apokalypse, zwischen zum Leben erweckten Statuen und expressiven Schattenspielen an den Fassaden von Wolkenkratzern fragt Coppola ebenso nach einer Zukunft von Kino jenseits dramatischer Erzählkonventionen und Figurenzeichnungen. Eines, das bei der Weltpremiere in Cannes mittels eines Live-Schauspielers im Kinosaal sogar die Leinwand zu überwinden versuchte. Es ist ebenso ein Werk, das nicht nur von den Höhepunkten des Monumentalkinos a la Ben Hur träumt, sondern die Leinwand in eine Spielfläche für die (digitale) Effektkunst verwandelt.

Ein anderes Verhältnis zu Spezialeffekten

Inzwischen ist es schon zur Regel geworden, wie man in diesem Jahr etwa an der Rezeption von „Furiosa“ sehen konnte, dass Filme und ihre Ästhetiken automatisch als schlecht abgestempelt werden, nur weil sie überzogene Spezialeffekte aufweisen. Effekte, die als solche erkennbar sind und vielleicht gar keinen Realitätseffekt suchen, sondern bewusst eine Distanz ausspielen. In „Megalopolis“ ist das permanent der Fall, wenn irgendwelche digitalen Gebilde umherschwirren, Hände nach Wolken greifen, der Äther wie in einem antiken Mythos beschworen wird oder die Bilder in Kacheln zerteilt und überblendet werden.

Alles an diesem Film ist ausgestellt künstlich und nicht von dieser Welt, aber er funkelt damit, wie wenig andere Hollywood-Filme in den letzten Jahren gefunkelt haben. Er stößt einen vor den Kopf. Es ist auch nicht so, als fordere er Liebe von seinem Publikum. Lieben werden ihn die wenigsten, aber man kann von seiner widerspenstigen, manchmal schier irre anmutenden Vorstellungskraft und seinem selbstreflexiven Größenwahn mindestens fasziniert sein.

Adam Driver in "Megalopolis"
Adam Driver als Cesar Foto: 2024 Lionsgate

„Megalopolis“ spielt mit der Zeit

„Megalopolis“ reaktiviert Potentiale von Kino, mit denen am ehesten die frühen filmischen Zaubertricks der Stummfilm-Pioniere gespielt haben. Die Bilder haben darin ein Verhältnis zur Fantastik und schlicht zum naiven, nicht immer sinnstiftenden, aber neugierigen Staunen gepflegt, das über die Jahrzehnte vielleicht ein Stück weit verlorenging. Ein selbstgenügsames Treibenlassen durch realitätsverdrehende Eindrücke, eher lose thematisch gerahmt als konkret verhandelt. In „Megalopolis“ schimmern Ansätze dessen noch einmal auf.

Und es ist bei weitem nicht so, als wäre Coppolas Spätwerk damit eine reine Effekt-Show, als würde es gänzlich auf ein Statement verzichten, wenn es an der Erzählung eines Machtwechsels und einer niedergeschlagenen populistischen Revolte arbeitet. Denn, so viel ist sicher in diesem Film, das Gefrieren der Zeit als Sehnsuchtsbild bleibt hier weiterhin den älteren, den alteingesessenen und privilegierten Generationen vorbehalten. Für den Nachwuchs aber, für den rennt die Zeit. Und es scheint so, als habe Francis Ford Coppola im hohen Alter gerade erst begonnen, eine interessante neue Phase in seinem Schaffen einzuläuten und jenem Nachwuchs kreativ zur Seite zu springen.

„Megalopolis“ läuft seit dem 26. September 2024 in den deutschen Kinos.

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