Bumsen und Trauern: „Lieber Kurt“ von Til Schweiger

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Kurt und Lena pinseln sich an
Foto: Filmwelt Verleihagentur / Gordon Timpen / Mathias Bothor

In seiner Romanverfilmung „Lieber Kurt“ zeigt Til Schweiger einmal mehr, dass er jedes noch so sensible Thema in Quatsch verwandeln kann.

Til Schweiger hat anfangs eine Mission: Er möchte mit seiner Lebensgefährtin Lena die Zimmer des neuen Hauses „einbumsen“. Eine baufällige Bruchbude haben sie sich in Brandenburg gekauft. Kurt (Schweiger) und Lena (Franziska Machens) machen sich an die Renovierungsarbeiten, um Kurts Sohn, ebenfalls Kurt genannt, ein Zuhause zu bieten. Der Patchwork-Alltag will gemeistert werden. Ist das Kind außer Sichtweite, dann geht es wieder ans Eingemachte. Nun liegen sie da auf dem Boden: Sie rutscht an ihm herunter und schwärmt davon, dass die beste Stelle seines Körpers so schön nach „Baumwolle und einem Hauch Schwanz“ riecht. Er überprüft, ob sie ebenfalls nach Schwanz riecht. Szenen einer Ehe. Lachen, Staunen und etwas Gänsehaut.

Schweiger hat ein weiteres Mal einen Film gedreht, in dem schon in den ersten paar Minuten so viel gefühlt wird wie in anderen Zweistündern nicht. Zu erkennen an dem sentimentalen Klangteppich, der gegen nahezu jeden einzelnen Dialog andudelt. Worte und Musik sind bei Schweiger in einem ständigen Kampf. Dazu zeigt „Lieber Kurt“ mal wieder die schönsten Werbebilder der Saison. Der Künstler bleibt sich treu. Wenn in seinen Stimmungsmontagen Menschen durch Getreidefelder tollen und Zeit in der Natur verbringen – auch hier fällt man übereinander her, die Leinenklamotten fliegen in Zeitlupe durch die Luft – dann weiß man gar nicht, ob man nun das neue Lenor-Waschmittel, ein Wernesgrüner, ein paar Einrichtungsgegenstände von Barefoot Living oder die neue „Apotheken-Umschau“ kaufen soll. Vielleicht ja auch eine Krankenversicherung abschließen, man weiß es nicht so genau. Schweigers Kitschaufnahmen bieten da Raum für Assoziationen.

Jedes Bild in „Lieber Kurt“ ist Emotion

Vielleicht ist es ein geschickter doppelter Boden, den der Filmemacher hier einzieht, arbeitet doch seine Figur als Werbetexter. Der Beruf hat die Welt vereinnahmt und verwandelt. Vielleicht ist es aber auch nur neuer bebilderter Mumpitz eines Regisseurs, der keine Gefühle inszenieren kann, ohne dass Menschen Sturzbäche an Tränen vergießen, hysterisch herumbrüllen oder sich gegenseitig Malfarbe in die Visage pinseln müssen.

All die Glückseligkeit, all das Gebumse, um im Gag-Vokabular des Films zu bleiben, kommt in der Familientragödie zum Erliegen, als Sohn Kurt, gespielt von Levi Wolter, von einem Klettergerüst stürzt und stirbt. Der erwachsene Kurt und Lena müssen nun ihre Trauer bewältigen. Ein Weinkrampf folgt auf den nächsten, Til Schweiger drischt das Badezimmer mit dem Hammer zusammen, dann wieder ein paar montierte Schnittbilder, vornehmlich von Landschaften, Tieren, Sonnenlicht, Tränen, Grinsen. Man kann gar nicht so viel empfinden, wie es die ausgeschlachteten Affektbilder gern hätten.

Eine Zigarette danach

Ja, das Dasein in der Welt, es läuft nicht mehr synchron. So lässt sich eventuell erklären, warum an wenigen Stellen plötzlich Ton und Mundbewegung nicht mehr zusammenpassen. Oder Alltagsgeräusche mit künstlichen Konserven-Sounds verstärkt werden – wie in einem Cartoon. Und sie ist in ihre Einzelteile zerschlagen, die Welt, ein nervöser, hilfloser Zustand. Oder warum wird ein Gespräch am Gartenzaun zum Schnittmassaker mit gefühlten 30 Cuts in 20 Sekunden? Der Grat zwischen geschicktem Formenspiel und technischer Panne ist bei Schweiger bekanntlich schmal.

Damit sich niemand über die schlampige Stilistik aufregen muss, liefert der Regisseur die Zigarette danach gleich mit. „Lieber Kurt“ ist ein Film für alle, denen Nikotinkonsum auf der Leinwand heute zu kurz kommt. In wahrscheinlich keinem anderen Kinofilm 2022 wird so viel geraucht. Und vielleicht könnte man das beseelte Leben, das dieser leeren medialen Hülle entweicht, auch gar nicht treffender visualisieren.

Man hat – zumindest das muss man „Lieber Kurt“ positiv anrechnen – schon wesentlich schlimmer in Schweiger-Filmen gelitten. Seine letzten Machwerke „Die Hochzeit“ und „Die Rettung der uns bekannten Welt“ möchte man vergessen. Das liegt aber auch daran, dass die thematische Fallhöhe in dieser Verfilmung von Sarah Kuttners „Kurt“-Roman nicht ganz so hoch ist. Wahrscheinlich mag es sich makaber anhören, aber auf die Trauer über ein gestorbenes Kind wird sich das Kinopublikum leichter einigen können, als wenn Til Schweiger mal wieder ein heißes Eisen wie das Thema Inklusion und Anderssein anpackt. Im Vorgängerfilm war zu erleben, wie er sich daran verbrennt. Und doch ist auch dieses Mal ein so unendlich bräsiges, wenngleich amüsant missglücktes Drama herausgekommen.

In der Zeit geirrt

Es ist betreutes Glotzen, das hier stattfinden soll. Schweiger traut sich ja noch nicht einmal, sein Publikum vollends in die Trauer eintauchen zu lassen. Alltägliches lässt Geister auferstehen. Das verstorbene Kind spukt in Rückblenden durch den Film, die in erster Linie dazu dienen, ein paar krepierende Flachwitze und Slapstick-Einlagen loszuwerden, welche auch aus einer Schlager-Klamotte vergangener Jahrzehnte stammen könnten. Schließlich zahlt das Schweiger-Publikum dafür, etwas zum Lachen UND Weinen zu bekommen. Man fragt sich ja ohnehin dauernd, in welchem Jahrzehnt man hier eigentlich gelandet ist, wenn etwa eine Schulklasse draußen auf einem Feld mit ulkigen Bildern und Wortwitzen unterrichtet wird – von einem Lehrer, der auch der „Feuerzangenbowle“ entsprungen sein könnte.

Unterwegs taucht noch Heiner Lauterbach als Nachbar Hannes auf, der sich an irgendwelche friedlichen Zeiten in Afghanistan ohne CIA-Wirken erinnert. Da weiß man, jetzt wird es politisch! Solche Seitenhiebe und Kommentare baut Schweiger immer wieder ein. In mancher Hinsicht gibt er sich dabei zeitgeistig. Fridays for Future spielt etwa eine Rolle. In anderer Hinsicht verbirgt sich in „Lieber Kurt“ nur eine weitere altbackene, erstickende Familienverklärung.

„Tatort“-Til ist zurück!

Til Schweiger kann kein Leben, keine Menschen porträtieren. Der einzige Lichtblick ist Peter Simonischek als Großvater. Ansonsten schafft er es nicht eine Sekunde, seine Figuren allein über reine Abziehbilder und Projektionen zu erheben. Hier gibt es ja nicht einmal Charaktere zu sehen, sondern Archetypen. Mutter, Vater, Kind, wenn auch in einer Patchwork-Konstellation. Lena und Kurt, wie sie den Garten bepflanzen. Ein Kinderlächeln, das die Herzen erwärmt. Die Sonne verpasst ihnen einen heiligen Glanz. Vater muss zwischen all den Gefühlsausbrüchen und Nonsens-Szenen doch noch handgreiflich werden, um die Bösen, Empathielosen zu bestrafen. Blut spritzt in einer Kneipenschlägerei. Da ist er wieder, der ruppige „Tatort“-Action-Til! Ein paar Minuten darf er raus aus dem Familienfilm-Käfig.

Wobei er auf den „Tatort“ gar nicht gut zu sprechen ist. Man kennt die Mörder ja ohnehin nach kurzer Zeit, heißt es im Film sinngemäß. Irgendein öffentlich-rechtliches Trauma scheint noch nicht verarbeitet zu sein. Therapeutisches Filmemachen. Und um Therapie geht es hier zur Genüge! Gut, eine Psychologin entpuppt sich in „Lieber Kurt“ eher als Stichwortgeberin, von der nicht viel zu holen ist. Zuvorderst reichen ein Ostseeurlaub, das Spielen mit einem umherstreunenden Mops, ein paar Plaudereien auf der Veranda und das Wandeln durch den Garten. So will es die Gedankenwelt dieses Filmemachers. Ästhetische Erlösung bringt das wahnhaft alberne Zurück-zur-Natur, das all die beigefarbenen Bilder in die Welt rufen. Hose aus, Schlüppi raus, ab in den Regen, rein in die matschbraune Schlotze. Umarmen in den Elementen. Für das Seelenheil.

„Lieber Kurt“ läuft seit dem 15. September 2022 in den deutschen Kinos und wird im Frühjahr 2023 bei Prime Video zum Streamen erscheinen.

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