„Joker 2: Folie À Deux“ mit Joaquin Phoenix ist eine radikale Fortsetzung, die viele Fans des Vorgängers verschrecken dürfte.
Man kann Todd Phillips nicht vorwerfen, er sei kein Risiko eingegangen. Schon der erste „Joker“ von 2019 tanzte unter den Comic- und Superheldenfilmen aus der Reihe. Phillips hatte damals weniger ein austauschbares Franchise-Produkt gedreht, sondern die ikonische Joker-Figur aus den Batman-Comics mit Motiven, Formeln und Ästhetiken des New Hollywood Kinos neu befragt. Das Resultat bescherte Hauptdarsteller Joaquin Phoenix unter anderem den Oscar, zog aber auch allerlei Hass auf sich. Die einen kritisierten den Film für sein vermeintlich faules Recycling alter Martin-Scorsese-Filme. Die anderen wähnten in der Geschichte des gedemütigten Clowns, der mit den Ausgestoßenen zum Aufstand probt, ein gefährliches Incel-Kino, das zur Gewalt aufruft.
Rund fünf Jahre später steht nun die Rückkehr zu dieser Filmfigur an und Regisseur und Co-Autor Phillips gibt sich ein weiteres Mal alle Mühe, eine Provokation zu langen. Bei den Filmfestspielen von Venedig, wo der erste Teil mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, feierte das Sequel am Mittwoch Weltpremiere. Im Oktober 2024 steht der reguläre Kinostart an. Und so viel steht fest: „Folie À Deux“ hat nicht nur das Zeug zum waschechten Publikumsspalter, sondern entpuppt sich fast schon als Parodie des ersten Teils.
Joaquin Phoenix in einer weiteren beängstigenden Verwandlung
„Joker 2“ beginnt mit einer Cartoon-Sequenz. In gezeichneten, animierten Bildern tapst der Joker zu seinem großen Auftritt im TV-Studio und ringt mit seinem anderen Ich, Arthur Fleck. Beide werden einen Tanz vor den Kameras darbieten, ehe der Joker von Polizisten niedergeknüppelt wird. Und damit ist das Thema der multiplen Identität gesetzt und das Motiv der Unterdrückung der Andersartigen wiederholt.
Nach seinen Morden sitzt Arthur alias Joker (Joaquin Phoenix) im Arkham Asylum. Der Reihe nach treten die Insassen aus ihrer Zelle. Die Kamera wandelt hinter Arthur die finsteren Gänge entlang. Die Knochen spießen überall durch die Haut. Der ausgemergelte Körper von Joaquin Phoenix soll einmal mehr zur Sensation taugen und das tut er auch. Überhaupt spielt Phoenix den Schurken wieder mit grandioser, unbehaglicher Physis. Aber das sind Bilder, die man bereits kennt. Wenn Phoenix später im fahlen Licht den Körper verbiegt und gedankenversunken in Zellen tänzelt, dann beschwört das die visuellen Qualitäten des ersten Teils, aber wo liegt nun das Neue?
„Joker 2“ ist als Musical erzählt
Das Neue liegt in der Form: „Joker 2“ ist ein Musical. In einer Musiktherapie-Gruppe lernt Arthur seine künftige Geliebte Lee kennen, die die Wohnung ihrer Eltern abgefackelt hat und in Joker ein Vorbild und eine Erlösergestalt sieht. Lady Gaga spielt diese Frau und damit ihre eigene Version der berühmten Harley-Quinn-Figur. Und nun fangen sie also an zu singen. Mal in rauen A-Cappella-Versionen, mal mit Orchesterbegleitung.
Immer wieder holen dieser Fred Astaire und diese Ginger Rogers der Irren zum nächsten Liebesduett oder gesungenen Seelenstriptease aus. Sie singen, tanzen und verwandeln die eigene missliche Lage in Musik. Zu älteren Songs, die die beiden covern, gesellen sich die musikalischen Einsprengsel von Hildur Guðnadóttir, die schon zum ersten Teil einen sehr düsteren, Oscar-prämierten Score geschaffen hat. Das ist musikalisch packend in seiner Rauheit und sorgt für einige faszinierende Brüche in der Erzählung. Etwa wenn der Joker singend zu einem fantasierten, drastisch bebilderten Amoklauf im Gerichtssaal ansetzt.
Bekannte Geschichten in einem trägen Gerichtsfilm
Es ist in seinen Musical-Szenen aber weder sonderlich kreativ bebildert noch eindrucksvoll choreographiert. Es ist auf Dauer sogar extrem langweilig und monoton, weil diese Songs in aller Regel weder starke Kontraste setzen noch etwas über die Figuren und Handlung erzählen, was man nicht ohnehin bereits verstanden hat. Dazu kommt der unsäglich träge Mittelteil, in dem sich „Joker 2: Folie À Deux“ zum Gerichtsfilm wandelt. Harvey Dent, der Star-Anwalt, will Arthur Fleck auf den elektrischen Stuhl bringen. Jetzt soll verhandelt werden, ob Arthur zurechnungsfähig war und die Todesstrafe verdient hat, oder ob er doch nur unter seiner psychischen Krankheit und Persönlichkeitsabspaltung litt. Sind Arthur und der Joker eins?
Cameo-Auftritt um Cameo-Auftritt wird dabei abgeklappert. Figuren des Vorgängers tauchen wieder auf und erzählen noch einmal ihre Version der Geschichte, die man längst kennt. Auch die Frage nach den Rollen, die ein jeder spielt, und nach Authentizität, die der Film aufwirft, köchelt hier auf Sparflamme. Sie erährt ein paar gekonnte Spiegelungen und Übertragungen, wenn beispielsweise Fernsehbildschirme und Zellenfenster verschmelzen oder das Theatrale der Gerichtssituation gebrochen wird. Wer sich für das Thema des alltäglichen sozialen Schauspiels interessiert, konnte aber in den letzten Jahren mit „Axiom„, „Dream Scenario“, „Sick of Myself“ oder auch „Goldhammer“ wesentlich spannendere Filme entdecken.
Wer ist hier wahnsinnig?
Mal ehrlich: Die interessante Frage des Vorgängers war nicht, ob Arthur wahnsinnig ist oder nicht. Dass der Film so unzuverlässig erzählt war und offen ließ, ob das denn alles wirklich so passiert ist oder nur im Kopf des Protagonisten stattfand, war ein nettes Augenzwinkern. Es war aber nicht der Knackpunkt dieses Films, der auf eine plakative, aber haltungsstarke Weise vorführte, wie ein neoliberales, kapitalistisches System und dessen Hierarchien faschistoide Tendenzen und die Sehnsucht nach Autoritäten aus sich selbst hervorbringen.
Genau diese unbequeme Kritik und Diagnose wird im zweiten Teil nun völlig verwässert und dekonstruiert. Sie wird auf einen blinden Führerkult und auf ein naives Vertrauen in die großen Inszenierungen abgewälzt. Der Joker wird damit auch zu einem Zerrbild populistischer Politiker und Oberhäupter aus aller Welt. Sagt Schlimmes, macht Schlimmes und trotzdem jubelt man ihm zu. Bis sich der Joker als Feindbild, Krimineller und Verräter entpuppt und kasteit.
„Joker 2“ fürchtet sich vor den eigenen Fans und Anhängern
„Joker 2“ holt somit also zur großen Desillusionierung aus. Aus dem früheren Antihelden wird nun wieder ein armes, gedemütigtes Würstchen, das sich nur nach einem Neuanfang sehnt. Glaubt nicht euren Führern und den medial schillernden Gestalten, sagt hier ein weiterer Film seinem Publikum und lässt alle Träume vom Aufbegehren radikal und blutig platzen. Hinter populären Stoffen wie „Game of Thrones“ oder „Dune“ reiht sich mit „Joker 2“ ein weiteres Werk ein, das eine derartige Abrechnung versucht.
Es ist nicht so, als sollte man den ersten Teil mit seiner gezeigten Revolte tatsächlich als Lösung oder Utopie begreifen. So viel Verstand und Empathie kann man dem Publikum zumuten. Sie war eine unheimliche, brutale Eskalation. Aber der Weg bis dorthin, die Abwärtsspirale konnte in ihrer Schockwirkung auf Missstände und Ursachen aufmerksam machen. Indem Todd Phillips nun jedoch die Perspektive auf diesen Stoff wechselt, treten beide Werke in Konflikt. Natürlich, man kann nicht oft genug vor der Verherrlichung autoritärer Gestalten und dem Faschismus warnen. Es ist also irgendwo ein konsequenter Twist und eine treffende Verkehrung des ersten „Joker“-Films. Man kann den Hut ziehen, auch mit den eigenen Anhängern erzählerisch so abwatschend und kompromisslos umzugehen.
Eine Abrechnung mit naivem Führerkult
Nur: Die Entlarvung der Dynamiken einer Revolte, ergibt hier keine kluge Provokation, sondern gerät in ihrer Verschiebung fast schon handzahm und feige. Jede systemische Kritik des ersten Teils wird damit überschattet, ausgelöscht, verunmöglicht. In Teilen sogar für lächerlich und eben: gefährlich erklärt. Fast so, als wolle man jenen, die sich vor „Joker“ und seiner Rache gefürchtet haben, wohlwollend zunicken. Am Ende sind hier jedenfalls wieder die Wahnsinnigen unter sich. Diejenigen, die schon auf freiem Fuß sind, erleben die Standpauke, Enttäuschung und den Fall ihres Idols. Die gewohnte Ordnung scheint wiederhergestellt zu sein. Eine Revolution hat sich von innen heraus zersetzt.
Was ihnen geblieben ist, war die reine Fantasie, wie Lady Gaga irgendwann sinngemäß erklärt. Zwei gefallene Außenseiter begegnen sich auf Augenhöhe und jagen Träumen hinterher. Doch Illusionen, Utopien oder Fantasien kennt diese Welt nicht mehr. Anstelle der kritischen und aufklärerischen Aspekte von Teil 1, zu denen man sich immerhin konfrontativ verhalten konnte, ist ein zweifellos hübsch fotografierter, stimmungsvoll ausgeleuchteter Genre-Hybrid getreten. Ein gewagtes Werk zweifellos. Aber auch eines, das sich selbst banalisiert und in seiner Kritik an den eigenen Fans vor allem ein halbgares Strohmann-Argument und eine Nebelkerze von Film auffährt. Eine Fortsetzung, die gegen ihre eigene Vergangenheit kämpft.
„Joker: Folie À Deux“ feierte seine Weltpremiere bei den 81. Filmfestspielen von Venedig. Am 3. Oktober startet der Film in den deutschen Kinos.
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