Harrison Ford kehrt zum vielleicht letzten Mal als Indiana Jones zurück und muss sich seiner größten Herausforderung stellen: der bitteren Versuchung durch die Nostalgie.
Indiana Jones steht vor dem Ruhestand. Was hat er nicht für Abenteuer erlebt! In mehreren Kinofilmen, Romanen, Spielen, TV-Episoden ist seine Figur zur lukrativen Marke und wandelnden Schatzkammer geworden. In ihren entlegensten Winkeln vermuten Konzerne auch nach mehreren Jahrzehnten noch so manche Kostbarkeit, ansonsten hätte man ihre Eintrittspforte spätestens mit dem vielgescholtenen „Königreich des Kristallschädels“ verschließen können.
Bekanntlich ist um Indiana Jones seit seinem Kinodebüt im Jahr 1981 aber ein übergroßer Kult entstanden, in dem einzelne Personalien vor und hinter der Kamera oder die Wahrnehmung der Qualität einzelner Franchise-Einträge eigentlich kaum noch eine Rolle spielen. Das genügt: Sein Name weckt Assoziationen, Bilder, Emotionen, vor allem (Jugend-)Erinnerungen, wenngleich sein Gesicht nunmehr im Altern zu erleben ist.
Harrison Ford gehört inzwischen zu einer Riege von Altstars, mit deren Vergänglichkeit die Filmindustrie arbeiten muss, um noch irgendwie die Zukunft dessen zu retten, wofür jene einst standen. So mutet auch „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ zugleich wie ein Endpunkt, aber auch Transitwerk einer Übergangszeit an. Sie hängt im Früheren fest und verwehrt sich dem Neuen, wissend, dass sie mit dem drohenden Ausstieg ihrer einstigen Helden und Verlässlichkeiten durchaus auf einen Umbruch zusteuert.
Indiana Jones begegnet seiner würdigen Erbin
Indy jedenfalls will nicht mehr so recht. Von turbulenten Geschichten kündet noch der gestählte Körper, der zu Beginn im Wohnzimmer sitzt, doch da erscheint ein älterer Herr auf die Leinwand, der eigentlich nur noch seine Ruhe sucht. Mit dem Baseballschläger droht er den Jüngeren, die die Wohnung aus der Nachbarschaft heraus mit lauter Musik beschallen. Nachfolgende Generationen erobern den Raum, den der Held nun zu verteidigen versucht. Und dann bekommt er auch noch seine potentielle Nachfolgerin an die Seite gestellt: Phoebe Waller-Bridge („Fleabag„) spielt Indiana Jones‘ Patentochter Helena Shaw, eine gewiefte Forscherin, die den abdankenden Professor erneut in ein Abenteuer verwickelt.
Wieder treiben Nazis als Gegenspieler ihr Unwesen. Der Film spielt zwar nach einer längeren Rückblende in den 1960ern, doch reaktionäre, gewalttätige Kräfte arbeiten im Untergrund an ihrer Rückkehr und einer alternativen Geschichtsschreibung. Wieder haben es alle auf ein Artefakt abgesehen, dieses Mal die sagenumwobene Antikythera des Archimedes, welche Einsichten in und Kontrolle über die Zeit versprechen soll. James Mangold („Le Mans 66“) löst dabei Steven Spielberg auf dem Regiestuhl ab und inszeniert die Hatz im konstant hohen Tempo. Opulent ausstaffiertes, kurzweiliges Abenteuerkino ist ihm gelungen, das alle Zutaten der Reihe aufleben lässt, sich nahtlos in die Vorgänger einfügt – und doch nur auf Bekanntes und Verbrauchtes reagieren kann.
Angestaubter Exzess
„Indiana Jones“ lebte immer vom Exzess: Kino, das seine Charaktere wie Plastikfiguren in einem Spielzeug-Wunderland mit Fallen, ausgeklügelten Mechanismen, wilden Tieren, exotischen Kulissen (und leider so manchem rassistischen Narrativ) umherwirft. Es liebt das Zerstörerische, die Verschwendung, das Schleimige, Gruselige, Einfältige. „Das Rad des Schicksals“ setzt viel daran, diese Haltung wiederaufleben zu lassen und verpasst doch die Sensation. Zu viel der blassen Action wird von bescheidenen Tricks verhunzt, zu viel geschieht in unübersichtlichen Schnitten, zu wenige Bilder prägen sich ein. Teil 5 gelingt damit nicht, im selben Maße den kleinkindlichen Spiel- und Abenteuertrieb zu wecken, von dem die Reihe seit jeher lebte.
Geblieben sind Gesten des Abschieds und der andächtigen Verehrung. Figuren von einst begegnen sich noch einmal, nicken sich wehmütig zu, erzählen Geschichten von früher – das Publikum erinnert sich mit ihnen. Nostalgie als Zuflucht erspürt sich damit selbst in Schmerz und Weltuntergangsstimmung, als könnte sie keinen Anstoß mehr für irgendetwas geben. Man beschwört nur das, was längst vergangen ist und nie wieder zurückkehren wird. Dessen Ikonen und Relikte versucht man noch, auratisch aufzuladen: Hut, Peitsche, ein Ring, die Uhr des Vaters. In Wirklichkeit hat dieser Film Mühe, ihnen mehr als den Schein austauschbarer Requisiten zu verleihen.
Harrison Ford und sein digitales jüngeres Ich
Erstaunlich ist nur, wie explizit „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ in seinem Abarbeiten an der Wiederholung die Frage nach seiner Rückbesinnung und Reproduzierbarkeit verhandelt. Nicht nur bezüglich der Schätze und Artefakte, bei denen zwischen Original und Fälschung unterschieden werden muss, sondern etwa auch in der digital verjüngten Version von Harrison Ford. In der eröffnenden Rückblende in die Wirren des Zweiten Weltkriegs tritt der Star als technischer Avatar in Erscheinung.
Doch wie der jüngere, kraftstrotzende CGI-Klon kein wahrhaftiges Spiegelbild, sondern nur Phantasma bleibt, bleiben auch die Rätsel, Scharmützel und Verfolgungsjagden in „Indiana Jones 5“ nur Wunschvorstellungen einer Traditionspflege, welche die Hürde der Routine und bemühten Kopie nicht überwinden können. Wie oft lassen sich die ikonischen Erzählmuster, Klischees, Klänge, Bilder und Versatzstücke recyceln, bis ihnen das Echte und Anrührende abhandenkommt?
Indiana Jones und die Krise des Blockbuster-Kinos
Natürlich war „Indiana Jones“ schon immer eine trashige Reihe, die von der Nachahmung bekannter Elemente lebte. Noch nie hat sie aber so deutlich ihre eigene Selbsterschöpfung verhandelt. So zieht es auch Indiana Jones selbst in den inneren Konflikt einer Realitätsflucht ins Gestern, in mythisch verklärte Zeiten. So, wie es die Fankultur seit Jahrzehnten unternimmt. Wem der Alien-Hokuspokus in „Das Königreich des Kristallschädels“ zu abgedreht war, darf sich dieses Mal über das wundersame Thema Zeitreise empören: als Machtfantasie und zwiespältiger Sehnsuchtsort, der irgendwann mit Harpunen und Pfeilen seine Wunden in die verirrte Gegenwart schlägt. Aber was macht das schon, wenn der weltflüchtige Zauber so reizend bezirzt?
Indy soll in seinem späten Comeback über zweieinhalb Stunden hinweg aus einer Sinnkrise geführt werden. Wenig überraschend, dass dafür irgendwann unter dem Zepter Disneys das zähmende Thema FAMILIE alle Wogen glätten soll! Indiana Jones und die Endstation der Spießigkeit. Interessanterweise scheint dies jedoch in „Das Rad des Schicksals“ der einzige Ausweg aus der lähmenden Vergangenheitsobsession zu sein, eine gewaltsame Rückkehr in die Probleme des Jetzt. Insofern ist der fünfte „Indiana Jones“ womöglich kritischer mit sich und dem Elend gegenwärtiger, industriell verwerteter Retro- und Nostalgiekultur, als er zunächst den Anschein erweckt. Doch auch hier gilt: Wie interessant kann Blockbuster-Kino schon sein, wenn es nur noch die eigene kreative Krise zum Thema hat?
„Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ läuft ab dem 29. Juni 2023 im Verleih der Walt Disney Company in den deutschen Kinos. Seine Weltpremiere feierte der Film bei den Filmfestspielen in Cannes.
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