„House of the Dragon“: Staffel 2 hat (wieder) ein „Game of Thrones“-Problem

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Rhaenyra Targaryen und ihr Drachen in "House of the Dragon"
Foto: HBO/ Sky Deutschland

Die zweite Staffel von „House of the Dragon“ bleibt ihren Fans die ganz große Action schuldig. Ihr großes Problem liegt jedoch an anderer Stelle.

+++ Der Artikel enthält Spoiler zur Handlung der zweiten Staffel. +++

Die Zukunft quillt als Blut aus einem Baumstamm hervor und plötzlich sind die Bilder wieder da. Der Komet, der dreiäugige Rabe, ein weißer Wanderer, Daenerys Targaryen mit ihren neugeborenen Drachen und einiges mehr. Teils verweisen die Eindrücke auf Bekanntes aus der Welt von „Game of Thrones“, teils auf kommende Ereignisse in „House of the Dragon“. Es hat acht Episoden gedauert, bis das Fantasy-Prequel sein Geheimnis lüften wollte, an welchem Punkt dieser halluzinierende und von Hexerei und Spuk durchzogene Handlungsstrang landen sollte. Die Geschichte von Daemon Targaryen (Matt Smith), dem zwielichtigen Gatten der Thronerbin Rhaenyra (Emma D’Arcy), verlangte dem Publikum Geduld und Rätselraten ab. Am Ende sind die Fragezeichen nicht kleiner geworden.

Für die Figuren der HBO-Serie wurde im Verlauf der zweiten Staffel so manches Kräfteverhältnis verschoben und doch hat sich an der Ausgangslage wenig verändert. Drachen wurden gezähmt, Waffen und Armeen in Stellung gebracht. Intrigen wurden gesponnen. Der gewalttätige Payoff wird jedoch auf die nächste Staffel verlagert. Ein weiteres Mal stehen Vernichtung und Krieg eher als drohende Schreckgespenster denn als tatsächlich greifbare Realitäten im Vordergrund. Der Krieg hat in den vergangenen Folgen eine unangenehm routinierte, alltägliche Gestalt angenommen. Trotz aller Gräuelbilder.

„House of the Dragon“ endet an einem vertrauten Punkt

Während Alicent (Olivia Cooke), die ehemalige Freundin von Rhaenyra, inzwischen neue Wege beschreitet und eine Desillusionierung erfährt, ist bei Rhaenyra und Daemon, dem Drachenreiter-Paar, alles beim Alten. Getrieben sind sie von gekränkter Ehre und Machthunger, weil es Ideale, das Versprechen des toten Patriarchen und eine quasi-religiöse Prophezeiung verlangen. Staffel 2 von „House of the Dragon“ hat sich in ihrem Blick auf diesen Konflikt spätestens mit der finalen Episode angreifbar gemacht, weil ihre sorgfältig aufgefächerten Grautöne und Konstellationen fortwährend in eine Haltungslosigkeit zu kippen drohen.

Die Kürzung von zehn auf acht Episoden hat sich vielleicht aus organisatorischen und finanziellen Gründen ausgezahlt. Sie lässt aber auch ein Scheitern erkennen, einen ähnlich kraftvollen Erzählbogen wie Staffel 1 zu kreieren. Dafür wiederholt und verläuft sich schlicht zu viel im alten Franchise-Korsett. Das Problem ist nicht, dass „House of the Dragon“ bislang so wenig Drachen-Action zu bieten hatte. Diese Entschleunigung kann sogar ein kluger Schachzug sein! Man macht es den zahllosen Fans nicht allzu leicht, die im Netz Sturm laufen, weil sie sich um ihre blutig-feurigen Schauwerte betrogen fühlen, als sei der Kern der Serie nicht ohnehin ein anderer. „House of the Dragon“ begann als dialoggetriebene Untergangs- und Antikriegserzählung. Nur: Ob sie sich dabei treu bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Das Staffelfinale hat die Antikriegsbotschaft nämlich deutlich verwässert.

House of the Dragon Staffel 2 Poster
Foto: 2023 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.

Unscheinbare Highlights

Das schmerzt umso mehr, weil es sich immer noch um eine der spannendsten Serien handelt, die man aktuell sehen kann. Es gibt wunderbare, ergreifende Momente in dieser Staffel zu erleben. Solche, in denen filmische Räume eindrucksvoll zu sprechen beginnen. Wenn es im Felsen von Dragonstone rumort, Dunst wabert, man das Gefühl hat, die Figuren würden auf einem sinnbildlichen Pulverfass umherschreiten. Es gibt mitreißende Dialoge und Szenen, die das Geschäft mit dem Krieg bloßstellen: Wenn Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, sich in die Höhle des Drachen wagen, nur weil ihr Kriegsdienst ein letztes bisschen Ruhm oder (ökonomische) Sicherheit verspricht. Am Ende opfert sich ein Großteil von ihnen sinnlos und endet jämmerlich.

Oder wenn selbst die friedfertigste Seele, die Königin Helaena, zum Waffendienst gezwungen werden soll, weil das persönliche Überleben mit dem Überleben der Krone gleichgesetzt wird. Der Podcaster Ole Nymoen hat jüngst einen lesenswerten Text in der „Zeit“ zum Thema veröffentlicht. „House of the Dragon“ traut sich nur immer noch zu wenig, die Abgründe seiner Sympathieträger vollends auszureizen. Solche finsteren Spiegelungen und Beobachtungen erscheinen bislang eher als Zugeständnisse und Intermezzi, bevor man wieder in reaktionäre Sehgewohnheiten zurückfällt und das Schreckliche dann doch nicht allzu schrecklich sein darf. Die ersten vier Episoden waren eine packende Ausformulierung dessen, was sich zuvor anbahnte. Sie haben gezeigt, mit welch schmutzigen Mitteln ein Krieg geführt wird und welche Apokalypse auf den Schlachtfeldern wartet. Der zweiten Staffelhälfte fehlt an Konsequenz, diese Punkte weiterzudenken.

„House of the Dragon“ ist zu gnädig mit seinen Figuren

Deutlich zeigt sich diese Schwachstelle im Umgang mit der Protagonistin Rhaenyra. Emma D’Arcy verkörpert eine Figur, die rational immer weniger zu begreifen ist und die sich, wenn man ehrlich ist, kaum von ihren grausamen Gegenspielern unterscheidet. Würde ihr tatsächlich etwas an tausenden zum Tode verdammten Menschenleben liegen, wie die Serie suggeriert, hätte sie längst auf ihren verbissenen Machtanspruch verzichten können. Stattdessen kreiselt sie immer wieder um die gleichen alten Gedanken und Dilemmata. Ihre dunklen Seiten blitzen kurz auf und verschwinden ebenso schnell wieder.

Weil man dem Publikum (noch) nicht dessen Sympathieträgerin rauben will, wird selbst die fragwürdigste Grausamkeit im Opfern von Zivilisten sogleich von heroischen Aufnahmen und den pathetischen Klängen des Komponisten Ramin Djawadi besänftigt und glattgebügelt. Das liegt auch daran, dass die Serie noch keine stringente Idee erkennen lässt, wie sie die Romanvorlage tatsächlich bis zum Schluss als Geschichte einer tragischen Revolutionärin lesen kann. Ihre feministische Deutung kollidiert zunehmend mit den Darstellungen des Ausgangsmaterials. Warum also, fragt man sich am Ende der Staffel, soll Rhaenyras Krieg überhaupt noch zum Mitfiebern einladen? Zumal sie noch dazu eine so verquere Stütze im Übersinnlichen erfährt?

Rhaenyra Targaryen in "House of the Dragon"
Foto: 2023 Home Box Office, Inc. All rights reserved.

Das Problem mit dem Übersinnlichen

Die phantastische Prophezeiung, mit der hier ein Krieg legitimiert wird, konnte man vorher noch als konstruierte Ideologie verstehen, die den ganzen Schlamassel nur finsterer erscheinen lässt. Schließlich hat sie sich in „Game of Thrones“ als (wohl eher unfreiwillige) Luftnummer entpuppt. Indem Daemon Targaryen nun jedoch nach dem ominösen Traumzauberbaum greifen und die Zukunft sehen kann, erteilt die Serie ihren Täterfiguren vorläufig eine Absolution. Sie übernimmt einen zynischen Blick, der alle Massaker als Hinführung zu einem messianischen Ende begreift. Aus „Game of Thrones“ ist bekannt, dass bei diesem vermeintlichen Ende kaum ein Teil zum anderen passt. Vergiftete Sentimentalität war das. Mehr nicht. Warum wird es also noch einmal so ausführlich wiedergekäut?

Na klar, diese Zukunftsvisionen sind vieldeutig! Sie können missinterpretiert und missbraucht werden und die Serie kann noch viel mit ihnen anstellen. Ihren Status als lediglich menschengemachte Ideologie haben sie allerdings schon jetzt verloren. Weil die Serie zu sehr im popkulturellen Franchise-Sumpf aus Lore, Theorien, Mythen und Querverweisen zu Quellmaterial und Mutterserie feststeckt, um sie als solche zu enttarnen. Figuren dürfen böse sein. Ihre Lehren und Verheißungen können für Kriegsreligionen benutzt werden. Doch sie dürfen nie so böse sein, um das Publikum vollends in eine kritische Distanz zu setzen. Da soll immer noch ein Rest Sympathie und Wunderglaube übrig bleiben, um den Fantasy-Genuss nicht zu trüben. Das Pendel schlägt eben doch in Richtung des Übersinnlichen aus, dem sich die Menschen unterwerfen müssen.“House of the Dragon“ und „Dune: Part Two“ reichen sich diesbezüglich die Hand.

Daemon Targaryen in Rüstung
Foto: 2023 Home Box Office, Inc. All Rights reserved.

„House of the Dragon“ ächzt unter dem „Game of Thrones“-Erbe

Statt zu kritisieren, soll das Publikum grübeln, wer über welche Fähigkeiten verfügt, welche Zauberin wen mit ihren Kräften manipuliert oder was wirklich an dem vorgeschriebenen Schicksal der Welt dran ist. „Game of Thrones“ bleibt seinem Publikum bis heute schuldig, was es mit all dem magisch-mystischen Kram nun auf sich hatte. Den Serienschreibern fiel diesbezüglich kaum etwas Sinniges ein. Handlungsstränge wurden wüst abgeschnitten oder krampfhaft zurechtgebogen. Bis heute leidet das Franchise darunter. Referenzen bleiben dadurch inhaltlich leer, was sich schon in der ersten Staffel latent zeigte und derzeit kaum noch schönzureden ist.

Und so birgt „House of the Dragon“ einen melancholischen Witz, wenn das Gesicht am göttlichen Zauberbaum ausgerechnet nach dem Antlitz des Schriftstellers George R.R. Martin geformt wurde, wie man Making-ofs entnehmen kann. Martins unvollendete Romanreihe und Vorlage mag eines Tages noch Antworten und Master-Pläne versprechen. Vorerst bleibt jedoch nur ein getrübter Blick in eine diffuse, weit entfernte Zukunft und ein zerstreutes Hirn.

Wird Staffel 3 alles richten?

Man kann nur hoffen und optimistisch bleiben, dass hinter „House of the Dragon“ ein Plan steckt. Dass das gesamte Narrativ der Serie eines Tages ein überzeugendes, in sich stimmiges Zeugnis ergibt. Das Bebildern und Beschwören des großen Weltenschicksals, das sich im Staffelfinale magisch offenbart, erzählt bis dahin von vermeintlicher Ohnmacht, Bedeutungs- und Ausweglosigkeit. Es formt den enttäuschenden Schlusspunkt dieser Staffel und beschränkt Charaktere lediglich auf Marionetten, die ihre aufoktroyierten Rollen als Mittel zum größeren Zweck zu spielen haben. Am Ende steht somit das bekräftigte Narrativ der Unausweichlichkeit des Krieges im großen Zerrbild der Geschichte, das in Dokumenten und Relikten in den Schränken der Herrschenden verstaubt.

Es muss so sein, die Zukunft will es. Jede schmerzhafte Entscheidung wird als notwendiges Übel verkauft. Man soll sich dem fügen, das den einzelnen Menschen übersteigt, welcher sich nur noch mit gefesselten Händen sehen kann. Nach einer ähnlichen Logik und Denkweise machen auch Kriegstreiber der heutigen Realität Stimmung und Politik. Die dritte Staffel von „House of the Dragon“ wird mit ihrem drohenden Gewaltinferno viel Mühe aufbringen müssen, einen Kontrast dazu zu kreieren.

Die gesamte erste und zweite Staffel von „House of the Dragon“ kann man bei Sky und Wow auf Abruf streamen.

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6 Kommentare im Forum
  1. Die Berwertung der Staffel und ihrer Probleme teile ich ausnahmsweise mal vollumfänglich. Ich find die Serie immer noch so gut wie GoT vor Ende des Quellmaterials, aber sämtlich Änderungen ggü. der Buchvorlage stoßen mir diesmal sauer auf, was in der ersten Staffel noch nicht so schlimm war. Insbesondere die Problematik der zu gutmütigen und feministischen Darstellung von Rhaenyra hinsichtlich dessen, was sie im Buch noch tun wird trifft den Nagel auf den Kopf. Warum sucht man sich eine Buchvorlage, die so sehr wie kaum eine andere nur graue Figuren und kein Schwarz und Weiß kennt, um dann an dieser Darstellung zu drehen? Und warum zwingt man mit dem Lied von Eis und Feuer unbedingt ein im Buch nicht vorhandenes Element der Hauptserie hinein, dass dort am Ende ins Lächerliche gezogen wurde? Wie ebenfalls in der Bewertung gut erkannt, gibt das Rhaenyra und den Blacks eine moralische Legitimation, die sie um Buch bewusst nicht haben. Das dafür dann Martins Gesicht herangezogen wird grenzt schon an Hohn. Und dann sind da einige Änderungen, die einfach nur wieder absolut dämlich und unglaubwürdig sind (Rhaenyras Besuch in King's Landing und Alicent's Besuch auf Dragonstone).
  2. Mann sollte NI den Fehler machen und ein Buch mit einem Film/Serie vergleichen. Das muss einfach schief gehen.
  3. Ich verstehe den Sinn einfach nicht, wenn man ein Buch verfilmt, aber dann teilweise Stories einbaut, die mit dem Buch und den dortigen Figuren so komplett gar nichts mehr zu tun haben. Was soll das?
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