Mit der sechsten Episode von „House of the Dragon“ treten nicht nur erstmals die neuen Hauptdarstellerinnen auf, sondern die Serie erfährt eine echte Belastungsprobe.
Ein Riss geht durch die Staffel. Mit dem Sprung, den „House of the Dragon“ in dieser Woche vornimmt, steht die Serie auf äußerst wackeligen Beinen. Gut 10 Jahre sind plötzlich seit der letzten Folge vergangen. Es ist ja keineswegs so, als hätte man einfach nur die Hauptdarstellerinnen ausgetauscht. Ab sofort sind Emma D’Arcy und Olivia Cooke als Rhaenyra Targaryen und Alicent Hightower zu sehen. Nein, da wuselt plötzlich eine ganze Schar Kinder durcheinander, die nun auseinandergehalten werden wollen. Sicherlich kein Ding der Unmöglichkeit, doch es ist schon erstaunlich, wie deutlich die Fantasy-Serie mit dieser Episode ins Stocken gerät. Jahre an Ereignissen werden übergangen, Figuren erweisen sich einmal mehr nur als Sklaven eines erklärenden Handlungsgerüsts, das in seiner Funktionsweise immer intransparenter wird.
Schon das Ende der vorherigen Folge war zwar eindrucksvoll inszeniert, mitreißend aufgebaut in seiner konzentrierten Spannung, aber erzählerisch mit der heißen Nadel gestrickt. Man muss eben von jetzt auf gleich schlucken, dass sich der Ritter Criston Cole innerhalb einer Episode vom treuen Leibwächter und Liebhaber zum eifersüchtigen Psychopathen wandelt, der einem der Hochzeitsgäste im Affekt den Kopf einschlägt. Wie er seinen eigenen Kopf nach diesem Vorfall aus der Schlinge zieht, das hätte man genauer beleuchten können, wenn das Ereignis nicht eben nur ein weiterer kleinteiliger Schockeffekt gewesen wäre, damit dem Publikum nicht langweilig wird, um danach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Nun hüpft er jedenfalls weiterhin am Hofe herum, wo Rhaenyra und Alicent im Erwachsenenalter ihre Zwistigkeiten und Eifersüchteleien austragen. Beide wollen ihre Nachfahren auf dem Eisernen Thron sehen, jede von ihnen wird versuchen, ihre Ansprüche durchzusetzen.
Exposition folgt auf Exposition
Diese gesamte erste Staffel von „House of the Dragon“ dient der Exposition, dem Erklären der Hintergründe, wie es denn zu diesem sagenhaften „Tanz der Drachen“, dem Targaryen-Bürgerkrieg gekommen sein mag. Man spürt es in jeder Folge. Aber wie reizvoll kann es sein, insgesamt zehn Stunden Exposition zu verfolgen, für die andere Filme und Serien einen Bruchteil der Laufzeit brauchen? In der sechsten Episode drängt sich diese Frage mehr denn je auf, denn es ist eben nicht so, als könnte man sich in dieser Woche an allzu viele Stärken klammern, wie sie etwa in den letzten Minuten der vergangenen Folge dominierten.
Es gibt in dieser Episode keine solcher konzentrierten Momente, die ihre Stilistik und Wirkweise genauer ausarbeiten, in denen ein größeres Spiel mit dem Erzählen und Inszenieren erkennbar werden würde. Abgesehen vielleicht von Rhaenyras beschwerlicher postnataler Wanderung durch den Bergfried. Stattdessen fühlt es sich an, als hätte man bei der einen Exposition einfach gnadenlos die Geduld verloren und hängt nun mit dem gewaltigen Zeitsprung eine weitere Exposition hinten an. Schuld an diesem Kuddelmuddel ist das ewig anstrengende Bedürfnis der Serienkultur, jedes Detail, jede Figurenregung zeigen zu wollen. Okay, die ersten fünf Episoden dienten rückblickend dazu, die Kindheit der beiden Protagonistinnen zu beleuchten, ihre Motivationen der Gegenwart besser begründen zu können. Per se keine verwerfliche Idee, aber was wurde denn da fünf Folgen lang gezeigt?
„House of the Dragon“ wagt einen Neustart
Andere Filme benötigen auch nicht mehrere Stunden Laufzeit, um Motivationen ihrer Charaktere biographisch begründen, pathologisieren und verorten zu können. Die Kunst des Erzählens besteht auch darin, solche Leerstellen zu füllen, ohne sie jederzeit krampfhaft bebildern zu müssen, wie es Serien immer wieder versuchen. Was sich bislang zugetragen hat – hätte man das nicht rückblickend ebenso gut in Dialogen aufarbeiten können oder in wenigen Rückblenden? Oder aber man geht den umgekehrten Weg und widmet wenigstens konsequent die ganze erste Staffel der Kindheit der beiden Protagonistinnen und zerteilt nicht die eigene Exposition auf so schroffe Art und Weise. Oder fügen sich die Teile doch noch irgendwie zusammen?
Denn es ist ja nicht einmal so, als wäre nun vieles nachvollziehbarer, als seien die besagten Leerstellen gefüllt. Das Gegenteil ist der Fall: Das ständige Springen auf dem Zeitstrahl von George R.R. Martins literarischer Vorlage sorgt für mehr ungläubiges Stirnrunzeln und Fragenstellen. Es lässt die Lücken in der Erzählung und Figurenentwicklung nur deutlicher ans Tageslicht treten. Mit diesem Bruch umzugehen, ihn kunstvoll zu verschleiern oder ihn produktiv werden zu lassen – vor dieser Herausforderung stehen die übrigen vier Episoden. Es ist ein Reset, den die HBO-Serie in dieser Woche unternommen hat, ein holpriger Start für einen neuen Akt.
Alle Besprechungen zu „House of the Dragon“ im Überblick
- Ersteindruck zur Serie: Folge 1-6
- „House of the Dragon“-Auftakt im Rückblick: Eine schwere Geburt
- „House of the Dragon“ geht packend weiter: Folge 2 übertrifft den Auftakt
- „House of the Dragon“: Erster großer Fehltritt in Folge 3
- „House of the Dragon“: Folge 4 und der Tod der Queen
- „House of the Dragon“ Folge 5: Der Gipfel der Dekadenz
„House of the Dragon“ ist seit dem 22. August bei Sky zum Streamen verfügbar. Jeden Montag erscheint eine neue Episode. Weitere Infos zur Ausstrahlung gibt es hier.
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