„Hagen“ enttäuscht im Kino: Alle Hoffnungen liegen jetzt auf RTL+

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Hagen von Tronje
Foto: RTL / Constantin Film / Stanislav Honzík

„Hagen – Im Tal der Nibelungen“ erzählt die Nibelungensage neu. Seit Donnerstag läuft der Film in den Kinos, doch das Warten auf die Serienfassung scheint sich mehr zu lohnen.

Es gab schon bedeutend schlechtere Versuche, ein solches Prestige-Projekt zu stemmen. „Hagen“ ist auf einem technischen Niveau produziert, das man im deutschen Kino der Gegenwart nicht alle Tage zu sehen bekommt. Gedreht in Prag und Umgebung sowie in Island, ist dieses Fantasy-Epos üppig ausstaffiert, in angemessen rauen, gewaltigen Landschaften, düsteren, schummrigen Räumen inszeniert und mit einem abwechslungsreichen Orchester-Score musikalisch unterlegt. Gerade der Ausflug nach Island, wo die sagenumwobenen Walküren in Felsen und Eis hausen und ein Vulkan im Hintergrund Feuer spuckt, ist visuell höchst imposant geraten.

Alles schreit also nach dem großen Leinwand-Epos über die ach so finsteren Zeiten, in denen machthungrige Könige und Fabelwesen nebeneinander existieren und sich in blutige Auseinandersetzungen manövrieren. Vor allem aber überzeugt „Hagen – Im Tal der Nibelungen“, weil er sich in seinem Fantasy-Mittelalter zwar mit kindlicher Freude in Dreck, Blut und Dunkelheit begibt, aber dabei nicht so tumb reißerisch und selbstzweckhaft vorgeht, wie es etwa Robert Eggers in seinem Historienfilm „The Northman“ getan hat. Nichtsdestotrotz verlässt man das Kino auch hier mit einer gewissen Enttäuschung.

Hagen, Gunter und Siegfried treffen die Walküren in Island
Reise zu den Walküren Foto: Constantin Film Verleih/ RTL

„Hagen“ läuft jetzt im Kino und 2025 als Serien-Event

„Hagen“ bleibt hinter den Erwartungen zurück, weil sich nach dem Sehen unweigerlich die Frage stellt, ob die Auswertungsstrategie von Constantin Film und RTL wirklich eine so gute Idee war. Erst der Kinofilm, dann die Serie. Was derzeit mit einer Laufzeit von etwas mehr als zwei Stunden in den Kinos läuft, scheint eine Kurzfassung des Projekts zu sein. Für 2025 ist „Hagen“ nämlich als sechs Episoden umfassende Event-Serie für den Streamingdienst RTL+ angekündigt. Ob es das Format auch linear ins RTL-Fernsehen schafft, ist derzeit noch unbekannt. Es erklärt jedenfalls, warum sich „Hagen“ im Kino mitunter so dermaßen hektisch, aber auch ungelenk in seinen immer wieder neu ansetzenden und abbrechenden Spannungsbögen anfühlt.

Adaptiert wird hier nicht das mittelhochdeutsche Nibelungenlied, sondern der „Hagen von Tronje“-Roman von Wolfgang Hohlbein. Die Adaption einer Adaption also. Hohlbein hatte den berühmten Mörder von Siegfried dem Drachentöter zum Haupt- und Titelhelden erhoben. Seine Version der Geschichte und der Perspektivwechsel werfen einen eigenen Blick auf den ikonischen Stoff und weichen mitunter von der historischen Quelle ab.

„Hagen“ beginnt mit der Thronbesteigung Gunters (Dominic Marcus Singer) in Worms. Doch die Krone wird ihm sobald wieder streitig gemacht. Siegfried von Xanten, den Jannis Niewöhner als muskulösen Egoisten und Rebellen mit Rockstar-Attitüde verkörpert, kommt in die Burg und fordert den König heraus, ehe beide zu Verbündeten werden. Schlachten werden geschlagen. Das Burgunderreich soll gegen Eindringlinge, die Hunnen, verteidigt werden. Um ihre Macht zu sichern, reisen die Männer irgendwann nach Island, um die Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster) zu erobern. Bei alldem ist Hagen (Gijs Naber) der treue Begleiter, Berater und stille Beobachter, ehe er in die schicksalsträchtige Intrige gegen den einstigen Drachentöter verwickelt wird.

Siegfried im Drachenblut
Das Bad im Drachenblut. Foto: Constantin Film Verleih/ RTL/ Stanislav Honzik

Zu viel Plot in zu wenig Laufzeit

Das Problem beginnt schon damit, dass (zumindest in dieser Kinofassung) eine der blassesten und uninteressantesten Gestalten zur Hauptfigur erhoben wird. Denn dieser Hagen von Tronje, der Einäugige, ist die meiste Zeit genau das: ein stiller, wortkarger Beobachter. Hin und wieder werden Fetzen seiner Vergangenheit angerissen. Ebenso seine zweischneidige Beziehung zu Siegfried, die zwischen Faszination und Abscheu changiert. Vielleicht schlummert dort sogar eine verdrängte homosexuelle Komponente!

Doch in reichlich zwei Stunden Laufzeit ist diese Beziehung nicht angemessen einzufangen und auszuformulieren, wenn es parallel so viel Handlung zu erzählen und so viel Personal vorzustellen gibt. Auch das Liebesdreieck zwischen Siegfried, Kriemhild (Lilja van der Zwaag) und Brunhild und die höfischen Intrigen, die sich daran anschließen, bleiben mehr Skizze als Porträt. Vor allem aber bleibt der politische Diskurs, der bei allem Spektakel und Schauwert mitverhandelt wird, deutlich auf der Strecke.

Kriemhild vor der Burg in "Hagen"
Kriemhild verliebt sich in Siegfried. Foto: Constantin Film Verleih/ RTL

Die Last der Nibelungen-Geschichte

Die Nibelungensage ist ein deutsches, vielfach aufgegriffenes Nationalepos. Richard Wagner hat seinen meisterhaften und bis heute oft aufgeführten Opernzyklus daraus komponiert. Regisseure wie Fritz Lang und Uli Edel haben den Stoff auf die Leinwand und TV-Bildschirme gebracht. Politisch wurde er von den Nationalsozialisten missbraucht und instrumentalisiert. Die Rezeptionsgeschichte der historischen Vorlage ist höchst interessant, höchst abgründig und kompliziert. Man kann zu Beginn des 21. Jahrhunderts eigentlich keinen Nibelungen-Film drehen, ohne diese Geschichte mitzudenken oder sich zu ihr zu verhalten.

Was „Hagen“ politisch damit anstellt, offenbart immer wieder interessante Schlaglichter. Denn das ist auch eine geopolitische Konstellation und Frage, die sich auftut, wie dort Grenzen zwischen Zivilisationen und Reichen gezogen, Feindbilder geschaffen werden. Die höfischen Ränkespiele führen ihren eigenen Untergang herbei, den man aus der Vorlage kennt, der in dieser Version aber (noch?) ausgespart wird. Bündnisse werden geschlossen, zum Teil mit Zauberei und Betrug. Zugleich fürchtet man sich davor, dass Bündnispartner zu Ikonen werden und die Gunst der Bevölkerung auf sich ziehen, während andere mit der Last der Macht ringen. Zugleich geht es um Fragen der Wehrhaftmachung, um den Zwang, zur Waffe zu greifen. Menschen werden zur Verteidigung gezwungen.

Gunter auf dem Thron in "Hagen"
König Gunter fürchtet um seine Macht. Foto: Constantin Film Verleih/ RTL

„Hagen“ fehlt der Raum zur Entfaltung

Das sind ungemein aufgeblasene Themenfelder und aufgeladene Reizworte. Man spürt, dass dort irgendetwas lauert, das mit unserer Gegenwart zu tun hat. Es könnte eine brisante Aktualisierung des historischen Heldenepos ergeben. Nur dürfen diese Ansätze im Kinofilm einfach nie vollends zum Tragen kommen. Sie bleiben versteckt, zeigen sich nur kurz, ehe sie von der hitzköpfigen Montage wieder auf den nächsten Plotpunkt verlagert und vertagt werden. Zumal die blassen Charaktere, ihr Auf- und Abtreten und ihre Dialoge nie das kunstvoll theatrale Pathos versprühen, welches einem Format wie „House of the Dragon“ populär gelingt.

„Hagen“ fehlt schlussendlich die Luft zum Atmen. Diese Geschichte braucht Raum, um sich zu entfalten. Der Film ist zu kurz und vollgepackt, um eine wirklich greifbare Substanz zu bergen und seine Charaktere und Konflikte mit Leben zu füllen. Man kann natürlich nur spekulieren, bangen und hoffen, dass eine sechsteilige Version jenen Raum bieten wird. Es schmerzt ebenfalls, von einem Kinobesuch abzuraten. Die Sehnsucht nach einem deutschen Genrekino jenseits des Problemdramas und der Beziehungskomödie wird zwar oft unnötig zum Fetisch erhoben. Aber sie ist bei vielen Menschen groß.

Und wie gesagt: „Hagen“ ist ein Fantasy-Großprojekt, das selten mit derlei hohem Produktionsstandard in die Kinos kommt. Aber man merkt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Dass es hier eigentlich und offenkundig nur einen Appetitanreger zu sehen gibt. Hagen und die Nibelungensage benötigen in ihren Ausmaßen einfach eine ausführlichere, größere Form.

„Hagen“ läuft seit dem 17. Oktober im Verleih von Constantin Film in den deutschen Kinos und 2025 als Serien-Event bei RTL+.

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