In „Driftmark“ glänzt „House of the Dragon“ mit einer Intensität, die an einige der stärksten „Game of Thrones“-Episoden erinnert. Hat sich die Serie endlich gefangen?
Vielleicht muss man sich an das qualitative Wechselspiel gewöhnen? Daran, dass man für jede Füllerepisode, die ihr Publikum lediglich mit Informationen und vollendeten Tatsachen vollzupumpen versucht, wie in der vergangenen Woche der Fall, mit so einem Glanzstück belohnt wird. Oder vielleicht findet diese vielstündige Exposition einer Dekadenzerzählung, die seit Wochen die Kriegstrommeln rührt, mit dem siebten Kapitel zu sich? „Driftmark“ heißt die neue Folge von „House of the Dragon“, benannt nach dem Stammsitz der Velaryons. Und so verweist bereits der Titel auf die konzentrierte Blickführung, mit der Episode 7 zur bisher stärksten und zu schlicht hochspannendem Fernsehen wird.
Ein Ort, ein Tag plus ein kurzes Nachspiel, alle Hauptfiguren versammelt, das sind die Zutaten der knapp einstündigen Tragödie. Sie hat anfangs zu kämpfen, zweifellos. Einen solchen Bruch, den der Zeitsprung der vorherigen Episode veranstaltet hat, schüttelt man so leicht nicht ab. Denn da kann die Musik von Ramin Djawadi noch so sentimental fiedeln: Man kannte die Figur, Laena Velaryon, einfach zu wenig, die zu Beginn kollektiv betrauert werden soll. Da können noch keine Tränen fließen, da brummt immer noch der Schädel, aufgrund der zugleich dezimierten und vervielfältigten Belegschaft, die Folge 6 auf den Bildschirm gespült hatte.
Großartige Regiearbeit von Miguel Sapochnik
Auf Driftmark hat sich das Ensemble zur Beerdigung versammelt. Am Ende der Trauerzeremonie, am nächsten Morgen sind die Kräfteverhältnisse neu verteilt, die ehemaligen Freundinnen Rhaenyra und Alicent sind endgültig entzweit. Intrigen sind gesponnen, erste brutale Handgreiflichkeiten verweisen auf den drohenden Krieg. Auge für Auge, Gewalt als vermeintliche Gerechtigkeit, aber auch als Geste der Macht und Dominanz, davon handelt diese Episode.
Miguel Sapochnik, einer der Showrunner, hat „Driftmark“ inszeniert. Es ist seine dritte und letzte Regiearbeit in dieser Staffel. Ab der zweiten Staffel wird er die Show als Serienschöpfer verlassen, das steht bereits fest. Man kann nur hoffen, dass er dem „House of the Dragon“ zumindest als Regisseur erhalten bleibt. So dicht und intensiv treibt Sapochnik die Handlung voran, so elegant weiß er mit dem Stellungsspiel seiner Figuren umzugehen! Während er im Vorgänger lediglich funktionale Sequenzen abzufrühstücken hatte, darf er in dieser Folge sein ganzes Talent unter Beweis stellen.
Ein Naturschauspiel
Das fängt schon bei dem eindrucksvollen Inszenieren des filmischen Raums mit seinen kargen Seelenlandschaften an. Ein erheblicher Teil von „Driftmark“ spielt unter freiem Himmel, in rauer, dämmernder Naturkulisse, welche die ganze Archaik zurückwirft, die aus dem Konflikt der Herrschenden ausbricht. Seien es die unheilvollen Wetterphänomene, das Verdunkeln des Himmels, der aufziehende Sturm, oder das Bezwingen des riesigen, bildfüllenden Drachen Vhagar durch den jungen Aemond, der dafür mit seinem Augenlicht büßen wird. Diese mächtige Waffe befindet sich nun in der Gewalt der „Grünen“, so nennt man die Partei um Königin Alicent.
Dabei weiß „Driftmark“ im selben Moment um die Unverfügbarkeit dieses sinnbildlichen Vernichtungswerkzeugs. Es ist eine Episode über Größenverhältnisse: Menschen in ihrem erdrückenden Kosmos, unter dem Himmelszelt, über dessen Wolkendecke unsichtbare Wesen dröhnen und schreien. Kleine Leute, die sich Übermächtiges erobern und damit Katastrophen heraufbeschwören. Kleine Leute, die plötzlich über sich hinauswachsen, in die Ränkespiele der Herrschenden verwickelt werden und dafür büßen müssen. Und große Leute, die Königlichen, die plötzlich ihre aufgesetzte Fassung verlieren. Wo die eine Geration noch um Haltung ringt, stürzt die nächste bereits ins vorbereitete Chaos.
Die Spannung des Unausweichlichen
In „Driftmark“ spitzen sich Unaufhaltsamkeiten zu, vorherbestimmte Schicksale, auch das ist das tragische Wesen. Sie sind menschengemacht. Erblinien, rassistische Ideologien von reinem Blut fressen ihre Protagonistinnen und Protagonisten auf. Vergangene Fehler sorgen Jahre später für Konsequenzen, andere wiederholen sich nur in neuem Gewand.
In einem der stärksten Momente unterhält sich ein alterndes Ehepaar, Corlys Velaryon und Rhaenys Targaryen, über den jahrelangen Machtkampf. Rhaenys, die einst als Königin abgelehnt wurde, konfrontiert ihren Gatten mit dessen Machthunger, der die eigenen Interessen mit symbolischer Machtpolitik für andere zu tarnen versucht. Die Episode ist voll von geschliffenen, pointierten, facettenreich vorgetragenen und gespielten Dialogen, bis konsequent alle Worte versagen. Der finale Schrei der Targaryen-Königin, die nie eine war, geht durch Mark und Bein. Ein weiteres Kind soll sie verloren haben, unwissend, dass sie lediglich einer ausgeklügelten Intrige zum Opfer gefallen ist.
Zwischen Shakespeare und Schiller
Und auch die Handgreiflichkeiten beginnen hier mit dem Ablösen verbaler Gefechte. In der nächtlichen Halle gehen Königin Alicent und Thronanwärterin Rhaenyra aufeinander los. Der Dolch des Königs, dieses aufgeladene Fetischobjekt, das die Ideologie des Schicksals und die wacklige Legitimierung der eigenen Machtansprüche birgt, wie es die Serie mehrfach erklärt hat, schlägt eine blutende Wunde.
Bislang wurde „House of the Dragon“ gern mit Shakespeare verglichen, nicht zuletzt von Autor George R.R. Martin selbst. Schillers „Maria Stuart“ möchte man von jetzt an ergänzen, wie da zwei Königinnen in diesem bild- und wortgewaltigen Fantasy-TV über die Machtfrage streiten, wie die Larven vor versammelter Mannschaft fallen. Zeugenschaft in der Politik, das ist Verhängnis und wirkmächtiges Wundermittel zugleich. Daran gemahnt diese Episode, die mit abschätzigen Blicken beginnt und mit einem Zerwürfnis endet.
„House of the Dragon“ nimmt an Fahrt auf
Es geht um nichts anderes als den Konflikt zwischen Individualismus und opportunistischer Systemhörigkeit. Zwei machtgierige Frauen tragen ihn für ihre Familien aus, die in dieser Folge mit weiteren Ambivalenzen und Eigensinnigkeiten versehen werden. Schritt für Schritt klopfen sie ab, welchen Preis Fügsamkeit oder Umsturz fordern, wenn sie in so viel Tradition und verkrusteten Bahnen feststecken.
Ihre einstigen Hüter, verkörpert durch den greisen König Viserys, können nur hilflos dem eigenen Untergang im Familienzwist zusehen, auch daraus zieht diese fulminante Episode ihre unbequeme Spannung. Final hat sich zwischen dem davonsegelnden Schiff, den fliegenden Drachen der Grünen und den Schwarzen auf der anderen Seite, Rhaenyra und Daemon, diesen Macbeths, eine schier unüberwindbare Distanz aufgetan. „House of the Dragon“ lässt zum ersten Mal wahrlich das Feuer in seinem Innern lodern.
„House of the Dragon“ ist seit dem 22. August bei Sky zum Streamen verfügbar. Jeden Montag erscheint eine neue Episode. Weitere Infos zur Ausstrahlung gibt es hier.
Alle Besprechungen zu „House of the Dragon“ im Überblick
- Ersteindruck zur Serie: Folge 1-6
- „House of the Dragon“-Auftakt im Rückblick: Eine schwere Geburt
- „House of the Dragon“ geht packend weiter: Folge 2 übertrifft den Auftakt
- „House of the Dragon“: Erster großer Fehltritt in Folge 3
- „House of the Dragon“: Folge 4 und der Tod der Queen
- „House of the Dragon“ Folge 5: Der Gipfel der Dekadenz
- „House of the Dragon“: Folge 6 spaltet die Staffel
Eine Vorschau zur bevorstehenden achten Episode kann man hier sehen:
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