Ridley Scott setzt nach über 20 Jahren seinen Oscar-Gewinner fort. Die Schauwerte in „Gladiator 2“ stimmen und sind unheimlich nah an der Gegenwart.
Das warnende Feuer leuchtet auf den Mauern der Stadt, also weiß der Bürger, was es zu tun gilt. Rüstung an, Waffe in die Hand. Auf geht’s zur Verteidigung! Das Volk hat sich zu wehren. Er habe heute gar kein Opfer gebracht, sagt man dem Bauern und Soldaten Hanno (Paul Mescal) noch vor dem Kampf, als die Römer im Jahre 200 Numidia mit ihren Galeeren belagern. Einen Römer würde er lieber opfern, entgegnet er kühl. Die Feindbilder sind klar markiert. Gut gegen Böse; da gibt es nichts dazwischen. Die Freiheit hier, die Unterjocher dort. In der Schlacht dann – Ridley Scott inszeniert gleich zu Beginn des Films große, blutgetränkte, apokalyptische Bilder – wird Opfer um Opfer gebracht.
Menschen stürzen in Beinahe-Kreuzesposen tot vom Himmel. Sie fallen mitten hinein in die gespenstisch gräulichen Aufnahmen des Jenseits, an das Ufer des Acheron, wo die verstorbenen Seelen vom Fährmann ins Reich der Toten geleitet werden. So auch die ermordete Frau des Protagonisten. Hanno hingegen wird aus diesem Jenseits wieder erwachen. Er überlebt das Gemetzel und die Eroberung der Stadt. Man versklavt ihn, verkauft ihn an einen Mann namens Macrinus (Denzel Washington), der ihn als seinen besten Spieler in die Gladiatorenarena schickt und insgeheim selbst nach der Macht über das Römische Imperium greift, welches sich zu diesem Zeitpunkt noch in den Händen zweier grausamer Tyrannen befindet.
Ridley Scott will das ganz große Monumentalkino
Die Szenen und das Weltbild, das „Gladiator 2“ in seinem ersten Akt vorführt, erscheinen nur allzu unheimlich vertraut. Es spiegelt reißerisch eine Gegenwart, in der ein Teil der Herrschenden, denen die eigene Macht wichtiger ist als der Wohlstand des Volkes, den Menschen wieder eintrichtern wollen, es sei die Pflicht eines jeden, für Politik und Vaterland zu Felde zu ziehen und notfalls das eigene Leben zu lassen. Blutdienst wird so zur Aufgabe und Unterhaltung zugleich. Und es wirkt, betrachtet man die Selbstverständlichkeit, mit der hier zur Waffe gegriffen wird.
Verstörend an diesem Film ist, gerade wenn es später um die Gladiatorenkämpfe und ihre Vorbereitung geht, wie sich die Unterdrückten diesem System und der Alltäglichkeit von Gewalt fügen. Als Hanno beim Zweikampf auf die Sinnlosigkeit des gegenseitigen Tötens für die Sensationslust anderer hinweist, stößt er auf taube Ohren. Also schlachtet man sich weiter. Ein jeder kämpft um das eigene Leben – etwas anderes zählt nicht mehr. Erst später setzt so etwas wie ein Bruch dieses Prinzips ein. Man entdeckt Solidarität, versucht einen Umsturz. Auch auf der Seite der anfänglichen Feinde, verkörpert von Pedro Pascal, dessen Figur des Mordens überdrüssig ist.
Mehr als nur Nostalgie und Wiederholung
Man kann diese Fortsetzung von Regisseur Ridley Scott und Drehbuchautor David Scarpa schnell als faules Spektakel-Kino abtun, das noch einmal die erzählerischen Formeln und Eckpunkte des ersten Teils aus dem Jahre 2000 wiederkäut. „Gladiator 2“ unternimmt genau das; deshalb erscheint er auch so zäh und aufgeblasen und bemüht protzend mit seinen Monumentalbildern. Ridley Scott verbindet jedoch, wie bereits in Teil 1, auf ähnlich konsequente und anregende Weise das politische Ränkespiel mit dem Spektakel und den Spielen in der Arena zur Einheit. Und gespielt wird in „Gladiator 2“ oft genug! Brutaler und gewaltiger noch als in dem mit fünf Oscars ausgezeichneten Vorgänger.
Hungrige Affen, ein Kampf-Nashorn, Haie, eine Seeschlacht im Kolosseum, abgeschlagene Gliedmaßen, durchbohrte Körper, literweise Kunstblut. Die voyeuristische Lust an der Gewalt, die dem Publikum im Theater gestillt werden soll, ist nicht weit von der des Kinopublikums entfernt. Das ist die altbekannte, zweischneidige Spannung, die es auszureizen gilt. „Gladiator 2“ blickt hinter die Kulissen dieses Mordspektakels, zeigt die meist halbnackten, attraktiven Männerkörper beim Schwitzen und Ackern. Man trainiert an Rudermaschinen, übt den Nahkampf, stählt den eigenen Körper.
„Gladiator 2“ erzählt eine blutige Revolutionsgeschichte
Eine gute Figur abgeben, sich fit halten, auf den Ernstfall vorbereiten: Das gilt – auch hier unbehagliche Spiegeleffekte zu gegenwärtigen Ideologien, die Ridley Scott in die Vergangenheit projiziert – gleichermaßen für die militärische Wehrhaftmachung, das Selbstopfer wie für das Hinarbeiten auf irgendeinen ominösen Widerstand, eine andere Zukunft. Beide Sphären einen das Geschäft und die Kulturen des Entertainments sowie die öffentlich inszenierten Bilder in einem Kampf von oben nach unten und umgekehrt. So sehen sie aus, die unterworfenen, angepassten Muckibuden-Vorzeige-Alphas der Römer!
Insofern besitzt Ridley Scotts „Gladiator 2“ durchaus subversive Züge, um auf das Hier und Jetzt und uralte politische Schräglagen und Irrwege zu reagieren. Hat man die abgedroschenen Effekte und quatschig pathetischen Dialoge sowie die nostalgischen Rückbesinnungen auf den ersten Teil – sogar Hans Zimmers „Honour Him“-Melodie darf noch einmal ertönen – durchgestanden, lassen sich dort einige interessante Kipppunkte und Erzählmuster finden.
Der widerständige Geist der Vergangenheit
Man findet sie besonders dann, wenn der Film eine Art Coming-of-Age-Geschichte daraus strickt, in der eben jener Hanno, den Paul Mascal die meiste Zeit verwirrt dreinblickend oder laut brüllend spielt, seine Welt zu hinterfragen beginnt. Das meint zunächst, die Verwandtschaft seiner Lebensweisen, seines eigenen Fleisches und Blutes, aber auch der Gewalt, die man ihm von außen antut, mit dem System zu erkennen, gegen das er aufbegehren wird. Ja, die Verwandtschaft, die somit auf Plotebene noch einmal aufgefächert und in Grund und Boden gerätselt wird, obwohl sie eigentlich kein Geheimnis sein sollte, ist zunächst nur auf familiäre Bande bezogen. Aber sie umfasst in „Gladiator 2“ ebenso größere, sinnbildliche Dimensionen.
Die wahre Bestimmung, vermittelt also der Film, liegt im Widerstand gegen den Status quo. Und weil das Profane mit dem Göttlichen in derlei Monumental-Schinken so medial und die niederste mit der höchsten Ebene effektvoll verbunden werden muss, geschieht in den aufgeladenen Bildern beides: der Griff des Sterblichen in den Staub und der Blick in den Himmel. Ridley Scott inszeniert irgendwann ein symbolträchtiges Gebet, eine Anrufung des Vaters, des Geists der Revolution, der dort oben im lila Himmel hausen soll. Man kann nur mutmaßen, aber vielleicht ist Scott ein „König der Löwen“-Fan.
„Gladiator 2“ bedient die perfekte Blockbuster-Masche
Ganz so konservativ und die alten Machtverhältnisse wiederholend, wie es der Disney-Film anstrebt, geht es hier dann doch nicht zu. „Gladiator 2“ glaubt insgeheim noch daran, dass es ein Leben jenseits von Autokratie, Tyrannei und dem Machtklüngel der Privilegierten geben kann. Das hat er vielen anderen Mainstream-Produktfilmen voraus. Nur traut er sich nicht immer, die richtigen Worte dafür zu finden. Oder er ist nicht eloquent genug. Vielleicht will er es auch gar nicht sein. Von „Ehre“ ist hier in großen Ansprachen die Rede. Ein hohler Kampfbegriff, den jeder anders lesen kann, was offenbar auch so gewollt ist. Das kriegsmüde Volk will man ermächtigen, die alten Eliten abschaffen und verharrt dabei in der althergebrachten Fantasie, dass nur ein strahlender Held in geschichtsträchtiger Rüstung vorbeikommen muss, um als Erlöser den nötigen Anstoß zu geben.
Das sind Bilder und Vorstellungen, denen popkulturelle Stoffe wie „Dune“ längst und aus guten Gründen skeptischer begegnen. In Ridley Scotts Sandalenfilm darf man sie noch einmal gefühlig naiv zelebrieren. In dieser Hinsicht, in seiner zweiten Hälfte ist „Gladiator 2“ am schwächsten und reaktionärsten. Und derlei Ausflüchte sind inhaltlich so entleert, haben auf der Leinwand so wenig konkrete Visionen, wie das angenehmere Leben nach der Tyrannei in einer neuen, starken Republik aussehen soll, dass sie ein jeder für sich wohlgesonnen vereinnahmen kann: Rechte und Linke, Feinde und Freunde der Demokratie und überhaupt alle, die mit den aktuellen Verhältnissen unzufrieden sind. Insofern weiß Ridley Scott, der alte Schlawiner, noch immer um die Zutaten und Tricks, mit denen man ein lukratives, reibungsloses Blockbuster-Produkt für die Massen inszenieren kann.
„Gladiator 2“ läuft ab dem 14. November 2024 im Verleih von Paramount Pictures in den deutschen Kinos.
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