„Game of Thrones“-Fortsetzung: Eine Serie über Jon Snow wäre dreist

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Angeblich arbeitet HBO gerade an einem „Game of Thrones“-Spin-Off, das die weiteren Abenteuer von Jon Snow verfolgt. Die Pläne wirken wie blanker Hohn.

Vielleicht würde ein Jon-Snow-Spin-Off zumindest in einer Hinsicht helfen. Immerhin blieb nach dem kontroversen Finale von „Game of Thrones“ unter anderem eine zentrale Frage offen. Damals schloss sich zu einem etwas heiteren Remix der berühmten Serien-Titelmelodie das Tor der Mauer, die die Sieben Königslande von ewigem Eis und Ödnis trennt. Zur Erinnerung: Jon Snow wurde zur Strafe für seinen Mord an Drachenkönigin Daenerys an die Mauer verbannt, um sich dann doch kurzerhand den verbliebenen Wildlingen anzuschließen, um gen Norden zu ziehen und das karge Niemandsland neu zu besiedeln.

Man könnte nun einen Nachklapp dazu nutzen, endlich zu erklären, warum etwa diese Neubesiedelung plötzlich als versöhnliche Aussteigerfantasie präsentiert wurde, obwohl über Jahre hinweg die Lebensfeindlichkeit und Ausgrenzungsstrukturen dieser Umgebung vorgeführt wurden, auch abseits einer Bedrohung durch Eiszombies und Winterzauber. Ein Logikloch von vielen war das, mit denen „Game of Thrones“ endete und so manchen langjährigen Fan der erfolgreichen Fantasy-Saga verärgerte.

Zu wenig Zeit, zu überstürzte Wendungen, zu hanebüchene Drehbuchentwicklungen, die auf Ziele zupreschten, die mit bisherigen Erzählfäden nicht mehr zusammenzupassen schienen. So lauteten wiederkehrende Kritikpunkte, die 2019 immer wieder zu vernehmen waren, als die finalen sechs Episoden bei HBO und in Deutschland bei Sky ausgestrahlt wurden.

„Game of Thrones“ hat sich selbst ausgehöhlt

Dass HBO nun neben sechs anderen geplanten Spin-Offs tatsächlich eine unmittelbare Fortsetzung von „Game of Thrones“ erwägt, klingt wie blanker Hohn. Ein abgekartetes Spiel mit dem Publikum und dreister Besänftigungsversuch. Das zentrale Problem, das die Originalserie in ihren letzten Staffeln an den Tag legte, bestand in einer fortwährend spürbaren Unvereinbarkeit von literarischem, bislang unvollendetem Ausgangsmaterial und originärer Weiterschreibung durch die Showrunner David Benioff und D.B. Weiss. Mit zunehmender Popularität änderte sich auch der Erzählgestus der Serie.

Das mitunter behäbige, sorgfältig konstruierte Ausbreiten von Handlungssträngen wich zunehmend großen Sensationen und TV-Schauwerten, Anbiederungen an den Zeitgeist, an eine im Streaming-Zeitalter offenbar schwindende Aufmerksamkeitsspanne. Es diente dazu, den eigenen inoffiziellen Status eines Kino-Blockbusters im Fernsehformat zu bewahren. Viele der ursprünglichen Qualitäten höhlte man damit aus. Die Vorstellung eines übergreifenden Erzählbogens, einer großen, finalen Erkenntnis enthüllte allein den ernüchternden Charakter einer blutigen Seifenoper, die am Ende in ihre Einzelteile zerfiel.

Misstrauen gegenüber der Zielgruppe

Eine Fortführung dessen, sollte sie denn tatsächlich realisiert werden, legt dieses Misslingen erneut offen. Und vor allem: die womöglich zu lange geleugnete Vereinnahmung einer verschachtelt konstruierten Romanserie durch die kalkulierenden Mechanismen und Logiken der Fernsehindustrie. HBO dürfte Angst bekommen haben, unsicher sein, das spricht zumindest aus der jüngsten Sequel- beziehungsweise Spin-Off-Ankündigung. Das bevorstehende „House of the Dragon“ sowie die weiteren bislang unfertigen Projekte kommen mit neuen Geschichten und einer immensen Zahl neuer Figuren daher.

Aber hat das Publikum überhaupt noch Lust darauf? Hat es Lust darauf, sich auf diese neuen Ecken und Winkel der Welt von Westeros einzulassen, oder wurde vielen Fans vom Finale der Mutterserie nicht ohnehin längst jede Freude an dem Stoff verdorben? Vor allem nach einer mehrjährigen Pause, die wiederum zahllose neue TV-Phänomene hervorgebracht hat? Die Fortschreibung des Originals ermöglicht HBO damit lediglich die berechnende Möglichkeit eines Auffangbeckens.

Jon Snow als Notfalllösung

Ein nostalgisches Zurückerinnern, eine Rückkehr des Altbewährten und -bekannten ist schließlich die sicherere Option. Und es eröffnet zugleich, wie bereits der „Hollywood Reporter“ bemerkte, die Möglichkeit, auch andere vertraute Figuren wieder zurückzubringen. Als Notfalllösung, sollte das Neue auf keinen großen Resonanzboden stoßen, könnte somit nebenbei auch der ein oder andere Kritiker von „Game of Thrones“ besänftigt werden. Diesen Gedanken scheint HBO aktuell jedenfalls zu verfolgen. Ähnliches hatte Showtime mit der späten Serienfortsetzung „Dexter: New Blood“ versucht.

Man müsste sich ja nun nicht mehr mit dem bisherigen Abschluss der Serie abfinden. Man könnte ihn einfach neu schreiben, erneut öffnen, um ihn vielleicht immer weiter fortzusetzen. Doch bisherige Probleme des Formats werden damit nicht behoben und sie sind auch nicht vergessen. Im Gegenteil: Sie treten nur deutlicher hervor.

„Game of Thrones“ hat sich in der Auflösung seiner Kerngeschichte rund um einen fehlenden Zusammenhalt der Menschheit gegenüber universeller Bedrohungen für immer einen unverzeihlichen Fehltritt geleistet. Jeder Nachklapp, jede dagegen aufgewogene Bedrohung dürfte nichtig erscheinen. Diesen Fehltritt mit weiteren Fortsetzungen übertünchen zu wollen, das passt natürlich zu gegenwärtigen Serienkulturen: Zur ambivalenten Freiheit, sich auf nichts mehr festlegen zu müssen, immer nur auf Kommendes vertrösten zu können.

„Game of Thrones“ sowie die bevorstehende Prequel-Serie „House of the Dragon“ kann man in Deutschland bei Wow sehen.

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