Faschismus zur Primetime: Die provokante neue Sky-Serie „M“

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Luca Marinelli als Mussolini
Foto: 2024 Sky Studios Ltd - Sky Italia srl - The Appartment srl

„M – Der Sohn des Jahrhunderts“ erzählt vom Aufstieg Mussolinis. DIGITAL FERNSEHEN hat die ersten Folgen der provokanten Sky-Serie bei der Weltpremiere in Venedig gesehen.

Antonio Scurati gelang mit seinem Roman „M – Der Sohn des Jahrhunderts“ ein literarischer Bestseller. In der inzwischen mehrere Teile umfassenden Reihe rekonstruiert der italienische Autor, wie Benito Mussolini zum Duce wurde und der Faschismus in Italien seinen Siegeszug feierte. Scurati hat dabei Reden, Artikel und andere Quellen zu einem üppigen Historienroman ausgeschmückt, der jetzt den Sprung auf die Fernsehbildschirme unternimmt. Bereits 2022 hatte Sky die Produktion einer Serienadaption von „M“ angekündigt. Vor wenigen Tagen feierte die erste Staffel nun ihre Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig, wo DIGITAL FERNSEHEN die ersten vier Folgen vorab sehen konnte.

Wenn „M“ im kommenden Jahr seine Premiere im Pay-TV feiert, dürfte Sky eines seiner bislang gewagtesten Formate an den Start bringen. Die Drehbuchautoren Stefano Bises und Davide Serino und Regisseur Joe Wright („Abbitte“) haben nämlich kein nüchtern beobachtetes Historiendrama und Zeitkolorit aus dem Roman gestrickt. Stattdessen zeigt sich „M“ als rauschhafte, fiebrige, niemals stillstehende und brachial voranpeitschende Gewalt-Seifenoper, die den Faschisten Mussolini zum charismatischen Antihelden erklärt.

Luca Marinelli als Mussolini in "M"
Foto: 2024 Sky Studios Ltd – Sky Italia srl – The Appartment srl

Luca Marinelli spielt in „M – Der Sohn des Jahrhunderts“ den Duce

Den italienischen Schauspiel-Star Luca Marinelli („Martin Eden“) hat man dafür in eine aufwändige Maske verpackt. Man hat ihn seiner äußeren Attraktivität beraubt, um den Duce zu verkörpern. Marinelli tritt dabei als hemmungsloser Gauner und kühler Taktiker auf, der immer wieder zwischen den Welten wandelt und durch die Kamera direkt zum Publikum spricht. Er kommentiert das eigene Narrativ und System, in das er verwickelt ist und das er selbst nach seinen Vorstellungen formt. Das Publikum selbst will er zum Faschismus verführen. Nichts Geringeres kündigt er gleich in den ersten Minuten dieser acht Episoden umfassenden Staffel an.

Und tatsächlich ertappt man sich immer wieder selbst beim Sehen. Nicht, weil man sich zum Faschismus verführt fühlt, aber zu dem schaurigen Charme dieser abgebrühten Mussolini-Gestalt. Die Provokation der Serie besteht darin, dass sie vom Publikum verlangt, nicht nur dem Bösen zuzusehen, sondern sich dem Bösen regelrecht auszuliefern, es in seiner Perfidie nachzufühlen. Ebenso sprengt „M – Der Sohn des Jahrhunderts“ Kategorien eines schlichten „gut“ oder „schlecht“. Man kann die Episoden nur in ihren Ambivalenzen und Widersprüchen sehen.

Parlamentsszene in "M"
Foto: 2024 Sky Studios Ltd – Sky Italia srl – The Appartment srl

Warnen vor dem Faschismus

Die Serie ist als Mahnmal gegen und Warnung vor dem Faschismus und Führerkult aufgezogen. Sie will zeigen, wie leicht sich die Demokratie abschaffen lässt. Und sie drückt dem Publikum ihre Botschaft und Querverweise zur Gegenwart mit voller Wucht ins Gesicht. Der grandios polternde Luca Marinelli spielt in „M“ dafür jede noch so plakative Standpauke mit Inbrunst und Überzeichnung an der Grenze zur Karikatur. So verwundert es auch nicht mehr, wenn er irgendwann die umgedichtete Trump-Phrase „Make Italy Great Again“ mitten in die Kamera krakeelt.

Zugleich kann und will die Show überhaupt keinen Hehl aus dem Sensationellen seiner historischen Figur machen. Eine gewisse Bewunderung für die Skruppellosen kann sie sich nicht austreiben. Sie ist sogar extrem zynisch, indem sie das Spektakel dieses Gewalttheaters, das Mussolini und seine Schergen inszenieren, um an die Macht bekommen, so kühl zelebriert. Das, wovor sie warnen will, der Faschismus, der für so viele Verbrechen an der Menschheit gesorgt hat, schlachtet sie reißerisch aus. Am Ende soll effektvolle Streaming-Unterhaltung herauskommen, die man genüsslich zur Primetime konsumieren kann. Und diese Begriffe können gar nicht oft genug betont werden: Sensation, Effekt und Spektakel – das ist es, worum es hier geht.

Reißerisches Spektakel-Fernsehen

„M“ nähert sich stilistisch immer wieder dem, was Sergej Eisenstein als „Montage der Attraktionen“ beschrieben hatte. Er sucht permanent nach den grellen, schnell geschnittenen Reizen, die die aufziehende Ideologie mit den Effekten, Schocks und Stimuli der Filmkunst zusammenprallen lässt. Joe Wright inszeniert dazu verblüffende Gruppenchoreographien, wie man es aus einigen seiner anderen Filme wie „Anna Karenina“ kennt. Er webt Archivmaterial in die temporeichen Szenen ein, die kein Halten kennen und unablässig auf den Abgrund zurasen.

Ihren Verführungsprozess und das Taumeln in den Faschismus in diesem filmisch überhöhten, in kränklichen Farben leuchtenden Fantasie-Italien zeigt die Serie in derart treibenden, rasanten Montagen und Exzessen, dass die historischen Fakten und die Vorstellung einzelner Akteure schnell in den Hintergrund geraten. Liest sich der (recht spröde) Roman von Antonio Scurati wie eine Chronik, ein Sachbuch, ist die Serie in erster Linie das Beschwören von Stimmungen. Und hier rettet sich „M“ haarscharf davor, die Propaganda und faschistische Ästhetik bloß zu reproduzieren.

Foto: 2024 Sky Studios Ltd – Sky Italia srl – The Appartment srl

„M“ ist eine Provokation mit Ansage

Man kann und sollte darüber streiten, wie groß der Erkenntnisgewinn dieser Serie ist. Ob das als Kritik wirklich aufgeht, den Faschisten Mussolini so zur aufsteigenden Hauptfigur eines poppigen Gangster-Epos zu stilisieren. Die Serie setzt dem jedoch etwas entgegen, indem sie schon in der erste Staffelhälfte immer wieder hinter die Kulissen der faschistischen Selbstinszenierung blickt und deren abgebrühtes Kalkül in ihren einzelnen Taten bloßstellt. „M“ ist nicht ohne Brüche inszeniert, um den Faschismus zu entzaubern. Nur findet man sie abseits der offensichtlichen, die versuchen, die Grenze zum Publikum zu überwinden und zu ihm zu sprechen.

Die rasante Attraktionsmontage wird dabei zum konsequenten Mittel, um die Epoche der Extreme, der konkurrierenden Revolutionen sowie der einstürzenden und sich überschlagenden Welterfahrungen einzufangen und zu ästhetisieren. Und ihr gelingt das wesentlich radikaler und ohne die unsichere Selbstentschuldigung, die etwa der Film „Führer und Verführer“ zuletzt in seiner Studie des deutschen Faschismus im NS-Regime unternommen hat. „M“ ist eine Provokation und ein Skandal mit Ansage. Die Serie schleift ihr Publikum am Ring durch die Manege. Und vielleicht ist das alles so vulgär und verdorben geraten, wie es das Thema vorgibt.

„M – Der Sohn des Jahrhunderts“ (im Original: „M – Il Figlio del Secolo“) feierte seine Weltpremiere bei den 81. Filmfestspielen von Venedig. 2025 soll die achtteilige Serie bei Sky ausgestrahlt werden.

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4 Kommentare im Forum
  1. Gibt es aber schon als zweiteiligen Film "Hitler - Aufstieg des Bösen (Rise of evil)". Dieser Film kommt einmal jährlich auf RTL Zwei und ist auf Youtube kostenlos verfügbar.
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