„Die Frau im Nebel“: Das neue Meisterwerk des „Oldboy“-Regisseurs

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Szene aus "Die Frau im Nebel"
Foto: Plaion Pictures

Park Chan-wook („Oldboy“, „Die Taschendiebin“) changiert in seinem neuen Film „Die Frau im Nebel“ lustvoll zwischen Film Noir, Psychothriller, Erotik und Mystery-Verwirrspiel.

Im Kino kann man durch die Augen der Toten sehen. In der zweiten Hälfte von Park Chan-wooks neuem Meisterwerk sitzt eine zerstochene Leiche im Pool. Ihr Ableben bildet nur ein Rätsel von vielen, welche in diesem Film so überwältigend die Sinne trüben. Und weil da jederzeit etwas im Verborgenen lauert – im Nebelschleier eben, wie der deutsche Titel vorgibt – schaut etwas unheilvoll zurück, obwohl man es vielleicht erst gar nicht bemerkt hat. Während im Vordergrund des Bildes noch die Spuren eines Verbrechen beseitigt werden, reißt der Ermordete hinten unbemerkt die Augen auf.

Die Kamera (stark: Kim Ji-Yong) vermag es, deren Blickwinkel einzunehmen und zu verzerren, auf die Welt der Lebenden zu starren, die sich ohnmächtig dem Sterben gegenübersehen. Menschliches und Tierisches ist ihr gleich: In einer anderen Szene schaut sie nicht weniger irritierend durch die Augen eines toten Fischs, der auf einem Marktstand drapiert wurde. Ein Finger berührt da die Linse, als würde dieser Film versuchen, unsere Perspektive neu auszurichten. Oder auch: Mit der Fingerkuppe direkt den Sehnerv zu stimulieren. Park Chan-wook ist ein Meister des filmischen Formenspiels und der gebrochenen Blicke. „Die Frau im Nebel“ alias „Decision To Leave“ zeugt davon mehr denn je. Es handelt sich um ein herausragendes Spätwerk des Südkoreaners.

Durch die Augen der Toten: "Die Frau im Nebel" alias "Decision To Leave"

„Die Frau im Nebel“ überschreitet alle Genre-Grenzen

Park gelangte Anfang der 2000er-Jahre mit seiner Rachefilm-Trilogie zu Weltruhm, insbesondere mit dem kryptischen Psycho-Puzzle „Oldboy“. Während der Regisseur seitdem in der Populärkultur gern mit drastischer Sexualität und Gewalt in Verbindung gebracht wird, breitet „Die Frau im Nebel“ noch einmal die ganze Bandbreite der Eigenwilligkeit seines Oeuvres aus. Sein Film arbeitet zwischen allen Genre-Schubladen, unterscheidet kaum zwischen Furchteinflößendem und Komischem, zwischen Begehren und eiskalter Manipulation. Konventionen einer Kriminalerzählung gelten ihm nur als vage Karte, um schon nach weniger Zeit freudig mäandernd vom Weg abzuschweifen.

Ein Mann ist verstorben, soviel steht fest. Unter einer hohen Klippe liegt der abgestürzte Körper. Ameisen krabbeln bereits über die erstarrten Augen, jene Unheilsbringer, die schon häufiger in Park Chan-wooks Filmen als Bedeutungsträger eine Rolle spielten. Der Kommissar Jang (Park Hae-il) nimmt nun die Ermittlungen auf und verliebt sich dabei in die Witwe des Toten. Tang Wei spielt diese Femme Fatale namens Seo-rae. Ist sie in Wahrheit eine Mörderin? Ist sie die Strippenzieherin, die sich ein Spiel daraus macht, ihr Gegenüber zu umgarnen? Und wenn dem so ist: Will man sich deshalb von ihr lösen? Stück für Stück vollzieht „Die Frau im Nebel“ über seine unheilvolle Liebesgeschichte eine Annäherung an die Faszination des Bösen und Grausamen.

Die Protagonisten von "Die Frau im Nebel"

Ein schlafwandlerischer Film Noir

Park Chan-wooks Protagonist kann schon längst nicht mehr schlafen, somnambul wandelt er durch die Welt, wandelt er durch diesen ebenfalls schlafwandlerisch, surreal anmutenden Film. In der virtuosen Montage brechen Bilder und Szenen permanent in ihrer eigenen Logik oder finden verblüffende Analogien zu ihrem Gezeigten. Ein Paar im Bett verwandelt sich da von jetzt auf gleich in zwei parallel geparkte Autos. Einzelne Gesten auf Fotos übertragen sich plötzlich in alltägliche Gebärden anderer Menschen.

Viele Geschehnisse könnten genauso gut dem verwirrten Geist des Protagonisten entsprungen sein: ein Was-wäre-wenn, eine Projektion, die dem Publikum als Wirklichkeit, aber keineswegs als Wahrheit verkauft wird. Von seiner Arbeit besessen ist Park Chan-wooks Kommissaren-Figur. Hinter einem Vorhang in der Küche hängen noch die blutigen Aufnahmen früherer ungelöster Fälle. Jetzt, da er sich an die mutmaßliche Mörderin annähert, kann er plötzlich wieder schlafen, ruhen, die Gedanken sammeln, obwohl diese zugleich verstreuter denn je erscheinen.

Park Chan-wook gelingt dadurch noch einmal eine ganz neue, selbstreflexive Annäherung an die Lust an der Gewalt. Das Triebhafte, unbewusst Schlummernde spielt in so gut wie all seinen Werken eine Rolle. Er weiß genau um die enorme Anziehungskraft, die gerade das Medium Film mit solchen anthropologischen Kräften austesten kann. „Die Frau im Nebel“ erzählt etwa über einzelne performative Filmschnitte das Verletzen. Andere Momente spielen ganz deutlich mit dem Motiv der Skopophilie, also der Lust am Sehen. Das meint auch hier konsequent beides, wie es schon die Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey in ihrem berühmten Text über „Visuelle Lust und narratives Kino“ herausgearbeitet hat: die Lust am Zusehen, aber auch die Lust, angesehen zu werden.

Tang Wei in "Die Frau im Nebel"

Ein Finale für die Ewigkeit

Figuren schlafen hinter gläsernen Fassaden, blicken durch Scheiben, werden auf Monitoren und anderen Bildschirmen, auf Abbildern fixiert und dupliziert. Über Ferngläser verschafft man sich Einblicke in andere Lebenswelten. Von deren Abgründen sollte man sich abgestoßen fühlen, Beruf und Moral wollen es so. Aber inwiefern ist deren Konstruktion über den Weg zu trauen? Lauern da nicht viel existentiellere, mächtigere Ängste und Gelüste, die dieser Film in so wunderschön komponierten Bildern hervorsprudeln lässt?

Über äußere Reize arbeitet sich „Die Frau im Nebel“ zum Elementaren vor, durchdringt die Schichten vom Spektakel des Verbrechens hin zur überwältigenden Angst vor Verlust und ewiger Trauer. Wie Naturgewalten rollen diese Gefühle über seine Figuren hinweg. Irgendwann wagt er sich mitten in ihre ominösen Kräfte hinein, wo Chronologien verschwimmen, Gespenster murmeln, Identitäten zerfließen, Stimmen und Bilder von einem Medium zum anderen wechseln, Apparate ihr Eigenleben entwickeln. Zwischen Felsgestein, Sand und brechenden Wellen findet ein Psychoduell ihren Höhepunkt. Wenige zeitgenössische Filmemacher zaubern eine solch eindrucksvolle, verführerische Freude am filmischen Spinnen, Gestalten und Fabulieren auf die Leinwand. Das hinreißende Finale von „Die Frau im Nebel“ ist eines für die Ewigkeit.

„Die Frau im Nebel“ läuft seit dem 2. Februar 2023 in den deutschen Kinos. Eine Heimkino-Veröffentlichung soll im Mai 2023 folgen.

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