Die 75. Berlinale endet mit überraschenden Gewinnern

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Berlinale-Bär am Sony Center
Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin 2002

Am Samstagabend gipfelte die 75. Berlinale in der Verleihung der Silbernen und Goldenen Bären – mit einigen Überraschungen.

Schon im Vorfeld der Internationalen Filmfestspiele Berlin, der ersten Ausgabe unter der Leitung von Tricia Tuttle, wurde wieder viel über Stars diskutiert. Wie viele Stars braucht die Berlinale, um im Gespräch zu bleiben? Sollten Glanz und Glamour überhaupt der Maßstab für ein Festival sein, das sich in erster Linie als Plattform für das Unentdeckte und Ungewöhnliche präsentiert? Am Ende dieser Ausgabe standen jedenfalls tatsächlich zwei Stars im Rampenlicht. Beide Darstellerpreise, die die Internationale Jury unter dem Vorsitz des Regisseurs Todd Haynes („May December„) am Samstag vergab, gingen an etablierte Namen in der Filmindustrie.

Netflix-Star Andrew Scott gewinnt auf der Berlinale

Der irische Schauspieler Andrew Scott, bekannt aus Serien wie „Ripley“ und „Fleabag“ und Filmen wie „All of Us Strangers“, wurde für seine Rolle in Richard Linklaters „Blue Moon“ als bester Nebendarsteller geehrt. Dabei sind seine Leinwandauftritte in diesem Film höchst überschaubar und verblassen regelrecht gegenüber dem Hauptdarsteller Ethan Hawke. Letzterer gibt in diesem kammerspielartigen Film über einen alternden Musical-Songschreiber nämlich eine echte Rampensau, der nahezu jede einzelne Szene gehört.

Weniger überraschend fiel der Preis für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle aus. Die australische Schauspielerin Rose Byrne, die seit den 1990ern in einer Vielzahl an Filmen mitgespielt hat, darunter in der „Insidious“- und „X-Men“-Reihe, gewann die Trophäe für ihre Darbietung in „If I Had Legs I’d Kick You“.

Mutterschaft als purer Terror

In dem Film, der nach seiner Premiere in Sundance mit einigen Vorschusslorbeeren in den Berlinale-Wettbewerb kam, spielt Byrne eine Mutter, die sich um ihre schwerkranke Tochter kümmern muss. Das Kind bleibt die meiste Zeit eine gespenstische, unheilvolle Leerstelle in den Bildern, zu der Rose Byrnes Figur ermüdet spricht.

Eine Katastrophe nach der nächsten schlägt nun zu: Stress im Job, Stress zu Hause, ein Loch in der Decke, Halluzinationen, ein durchdrehender Hamster im Auto. Dieser Film will pure Überwältigung und audiovisueller Terror sein, um die chaotische Realität seiner Hauptfigur spürbar werden zu lassen, und es gelingt ihm!

Rose Byrne im Berlinale-Film "If I Had Legs I'd Kick You"
Rose Byrne in „If I Had Legs I’d Kick You“ Foto: Logan Whyte/ A24

Weitere Preise für ein Horror-Märchen und eine grandiose Satire

Traditionell ehrt die Berlinale-Jury eine herausragende künstlerische Leistung mit einem Sonderpreis. Etwas hilflos anmutend, aber durchaus berechtigt, ging dieser Silberne Bär an „das kreative Ensemble“ von „The Ice Tower“. Ein Film, bei dem es in der Tat schwierig ist, eine einzelne Leistung vor oder hinter der Kamera herauszupicken, so sehr verschmelzen hier alle Gewerke zu einem hypnotischen, albtraumhaften Märchen über ein junges Mädchen, das sich an ein Filmset verirrt, an dem „Die Eiskönigin“ neu aufgelegt werden soll. Die französische Regisseurin Lucile Hadžihalilović erzählt damit etwas über eine immer gefährlicher werdende Obsession zu einer Schauspiel-Diva und die großen Illusionen des Kinos, die mit jeder Filmminute die Grenzen der Realität verschieben.

Der Drehbuchpreis wurde derweil an Radu Jude für seine grandiose Satire „Kontinental ’25“ verliehen. Der essayistisch angelegte Film verfolgt erst den Weg eines Obdachlosen, der als Störfaktor durch eine rumänische Stadt streift, und dann den Weg einer Gerichtsvollstreckerin, die den Selbstmord jenes Obdachlosen zu verkraften hat. Radu Jude hat damit eine scharfsinnige Analyse spätkapitalistischer Stadtbilder und Lebensentwürfe vorgelegt, die über Schuld, Sühne und die irren Methoden nachdenkt, mit denen Leute heutzutage versuchen, ihr Gewissen reinzuwaschen. Gefilmt mit einem iPhone, gedreht in langen Einstellungen und Dialogsequenzen.

Szene aus "Kontintental '25"
„Kontintental ’25“ von Radu Jude gewinnt den Drehbuchpreis. Foto: Raluca Munteanu

Goldener Bär geht nach Norwegen

Und der Hauptpreis des Festivals? Der Goldene Bär gehört in diesem Jahr dem norwegischen Film „Drømmer (Dreams (Sex Love))“ von Dag Johan Haugerud. Damit hat sich ein Film in einem Wettbewerb durchgesetzt, bei dem es bis zum Schluss schwer fiel, eindeutige Favoriten auszumachen, auch in der internationalen Kritik. Tricia Tuttles erster Berlinale-Wettbewerb war eine bunte Mischung aus gewohntem Berlinale-Weltkino und aufregenden, frischen Experimenten.

Dazu zählen nicht nur radikale Stimmen wie Radu Jude oder ein rätselhafter, mehr atmosphärisch als erzählerisch gedachter Film wie „The Ice Tower“. Dazu gehört etwa auch ein aufregendes Genre-Experiment wie „Reflection In a Dead Diamond“, der einen schnell montierten und höchst blutrünstigen Trip durch die Motive des Eurospy- und Gangster-Kinos unternimmt und dabei Formen, Farben, Oberflächen furios verschwimmen lässt.

"Dreams" gewinnt den Goldenen Bären der Berlinale
Der Berlinale-Gewinner „Oslo-Stories: Träume“ Foto: Motlys

Gewinnerfilm startet im Mai in den Kinos

Bei „Drømmer“, dem Sieger der insgesamt 19 konkurrierenden Filme, handelt es sich um den zweiten Teil einer Trilogie. Der erste Teil „Sex“ über zwei Schornsteinfeger, die ihre Heterosexualität hinterfragen, lief vergangenes Jahr in der Panorama-Sektion der Berlinale. Der abschließende Teil „Love“ lief im Herbst 2024 bei den Filmfestspielen von Venedig. Und der Mittelteil, der eigentlich schon im September in seinem Herkunftsland Premiere feierte, hat es nun in den Wettbewerb der Berlinale geschafft.

In dem Drama erzählt Dag Johan Haugerud von einer 16-Jährigen, die sich in ihre Lehrerin verliebt, und wie sich Gefühle in das geschriebene Wort übersetzen lassen. Neben dem Goldenen Bären gewann der Film unter anderem auch den Gilde-Filmpreis sowie den diesjährigen FIPRESCI-Preis.

Im Frühjahr 2025 kommt die gesamte Trilogie unter dem Obertitel „Oslo-Stories“ regulär in die deutschen Kinos. Den Auftakt bildet dabei „Oslo-Stories: Liebe“ am 17. April. Am 8. Mai startet der nun preisgekrönte „Träume“ und am 22. Mai folgt als Finale „Oslo-Stories: Sehnsucht“. Eine Übersicht über alle verliehenen Berlinale-Preise findet man auf der Website des Festivals.

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