„Der Spitzname“ mit Iris Berben: Ein Film wie ein Ski-Unfall

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Das Ensemble von "Der Spitzname"
Foto: Jürgen Olczyk/ Constantin Film

Sönke Wortmann setzt seine Namen-Reihe fort: „Der Spitzname“ ist ein weiterer Blick in spießige deutsche Abgründe.

Das populäre deutsche Komödienkino hat auch 2024 einen gewissen Masochismus bewiesen. Es quält sich selbst mit den Scheindebatten und Nebenkriegsschauplätzen, die von konservativen Populisten Woche um Woche beackert werden, weil sie auf drängendere Fragen der Gegenwart keine Antwort wissen. Es fehlt selbst an einer interessanten Fragestellung! Geht es einmal gerade nicht um irgendein Beziehungskleinklein im häuslichen Rahmen, arbeitet man sich an aufgebauschten Streitthemen ab. Das meint zuvorderst: Identitätspolitik. Es geht um Gendersprache, Geschlechter, sexuelle Orientierungen, soziale Ungleichheiten.

All diese Filme und Kammerspiele, sei es ein „Alter Weißer Mann“ oder nun „Der Spitzname“ von Sönke Wortmann, lassen hin und wieder noble Statements und Absichten erkennen, sind im Kern aber frei von innerer Erkenntnis und nachhaltiger ästhetischer Qualität. Sie sind für eine immer älter werdende, besorgte Gesellschaft produziert, die inmitten all der Krisen zwar mit dem Politischen konfrontiert, aber am Ende fein besänftigt werden soll, um die Kunst bloß nicht allzu gefährlich in den Alltag brechen zu lassen.

Sie verkaufen Übersicht, wo alles unübersichtlich ist, und Selbstgewissheit, wo alles ungewiss ist. Das Kino soll somit ein Ort des wohligen Fühlens bleiben, das Genügsamkeit und Zufriedenheit lehrt. Es verkauft die Illusion, alles sei im echten Leben doch eigentlich in Ordnung, solange man nur ein wenig die Einstellung dazu ändert. Selbstreflexion: Nur so weit, dass es nicht allzu unbequem wird.

Streit beim Abendessen in "Der Spitzname"
Streit beim Dinner Foto: Jürgen Olczyk/ Constantin Film

„Der Spitzname“ und die Reizthemen der Zeit

Vorgetragen wird das in der Regel von einem Personal, mit dem man privat niemals etwas zu tun haben wollen würde, das aber einen Eindruck von Gemeinschaft und Wiedererkennung vermitteln soll. In Wirklichkeit ist das eine Art „Geissens“- oder „Reich und Schön“-Effekt: Man sieht wohlhabenden Menschen in schönen Kulissen dabei zu, wie sie schlimme Dinge tun und mit den Wirrungen des Lebens kämpfen. Die gezeigte Welt hat nichts mit einem Großteil des Publikums gemeinsam. Der suggerierte Spiegeleffekt wird jedoch dadurch gerechtfertigt, dass die Protagonisten jener Welt genau so fehlbar sind wie die Menschen, die im Kinosaal oder vor der Glotze sitzen.

Der Filmkritiker Kamil Moll hat im „Filmdienst“ jüngst einen lesenswerten Text über Filme wie „Der Spitzname“ geschrieben, hinter deren aneinandergereihten Reizthemen, Stichwörtern und verbalen Gefechten sich, so das Fazit des Autors, gar keine wirklichen Probleme mehr verbergen. Moll nennt diese Filme treffend „Diskurskomödie mit Social-Engineering-Auftrag“. Er definiert sie als Werke, in denen „zeitaktuelle gesellschaftliche und zwischenmenschliche Konfliktfelder anhand von sich archetypisch gebenden Figuren ausdiskutiert und letztlich auch betont begradigt werden.“

FLorian David Fitz und Janina Uhse in "Der Spitzname"
Anna und Thomas wollen heiraten. Foto: Jürgen Olczyk/ Constantin Film

Altbekannte Kalauer

In „Der Spitzname“ geschieht diese Begradigung noch hanebüchener als in den Vorgängerfilmen „Der Vorname“ und „Der Nachname„. Im ersten Teil fing alles mit dem Streit um den Kindernamen Adolf an. Im zweiten stritt man auf Lanzarote über die geplante Hochzeit der Mutter, gespielt von Iris Berben. Teil 3 verlegt nun seinen Disput in die Tiroler Alpen. Anna (Janina Uhse) und Thomas (Florian David Fitz) haben die Sippschaft eingeladen, um gemeinsam Hochzeit zu feiern. Bis dahin werden wieder allerlei Lebenslügen und zeitgeistige Themen verhandelt, ehe man sich als geeinte Familie in der Kirche unter Gottes Himmel versöhnt. Ein Familien-Idyll im Bergpanorama.

Jeder Dialog, jeder Gag dabei ist hölzern. Wenige Sprüche glücken im Timing. Was zählt, ist allein, das Sehgefühl und die Motive der erfolgreichen ersten Teile am Leben zu erhalten, auch wenn es nichts zu erzählen gibt. Wie weltfremd und abgekapselt sie sind, weiß eine gedehnte Kammerspiel-Sequenz in einer Gondel, ausstaffiert mit künstlichem Digital-Hintergrund, passend zu visualisieren.

Geht es dort aber wirklich um nichts Substanzielles? Gibt es dort wirklich keine echten Probleme in all den Diskursen mehr? Sie sind vielleicht nicht auf der Leinwand oder in den Dialogen zu finden, bestehen aber darin, dass offenbar so viele Kinozuschauer das Gezeigte dennoch als Problem akzeptieren. Der Reiz, den dieser Film verkauft, besteht nicht darin, sich mit den aufgefahrenen Themen zu beschäftigen, sondern in der suggerierten Problemlösung, die vermeintlich kaum einer Änderung im Denken bedarf. Weil „Der Spitzname“ im Kern abgedroschene Feindbilder spiegelt, die zwar zum Schluss mit Leichtigkeit vom Tisch gewischt und die Wogen geglättet werden, aber in sich selbst keinen Bruch oder kein nennenswertes Gegenargument erfahren.

Christoph Maria Herbst als gefallener Professor Foto: Jürgen Olczyk/ Constantin Film

„Der Spitzname“ zeigt die Ängste und Vorurteile der Deutschen

Davor fürchtet sich hier ein deutsches Spießbürgertum: vor der „woken“ Jugend von heute, vor eigenartigen Akademikern, gerade denen, die nicht richtig wirtschaften können und womöglich noch anderen auf der Tasche liegen. Und vor übergriffigen Frauen! #Metoo betrifft auch Männer, lehrt dieser Film. Die nicht binäre Tochter; das wird wohl nur eine Phase sein, so wie es sich die konservativen Eltern gern einreden wollen. Und zwischendrin erzählt die altersweise Iris Berben von der Sinnlosigkeit von Demos.

Das Problem ist, dass nach zwei kommerziell erfolgreichen Filmen denkbar ist, dass ein Publikum auch noch ein drittes Mal bereitwillig zahlt, sich von derlei altbackenen, erzkonservativen Komödien verlogene schöne Gefühle bereiten zu lassen. Trash, Unterforderung, Entertainment sei allen gegönnt. Dass derlei betuliche, geistig einschläfernde Filme jedoch den Markt dominieren, ihn jedes Jahr erneut fluten und zumindest ein wenig Geld in die Kinokassen spülen, während so viele andere, viel ambitioniertere, überfordernde Filme im Programm untergehen, sagt auch etwas über deutsche Beziehungen zu Kunst, den Filmmarkt und Kunstfeindlichkeit im Allgemeinen aus. Das Problem, das vielleicht den Dialogen oder dem gesamten Drehbuch des Films unter der Oberfläche fehlt, liegt in der Rezeption an sich.

Sachbeschädigung gegen den eigenen Frust Foto: Jürgen Olczyk/ Constantin Film

Pure Sprachlosigkeit

Dabei gibt es durchaus ehrliche Momente in „Der Spitzname“ und die sind seine eigentliche Stärke: Dann, wenn Figuren versuchen, einmal das Thema zu wechseln. Aber was hat man sich zu sagen? Das Austragen von unsinnigen Stänkereien und das Austauschen von Gemeinheiten und Feindseligkeiten scheinen allein das Gespräch am Laufen zu halten. Ansonsten herrscht dort die pure Sprachlosigkeit, die man zu übertünchen versucht. Miesepetrige Gesichter, Schweigen. Pures Unvermögen, über die eigene Person nachzudenken, Empfindungen auszudrücken und zu reflektieren.

Regisseur Sönke Wortmann und der Autor Claudius Pläging setzen an diesen Punkten aber kaum produktiv an, sondern verfallen immer wieder in die alten Screwball-Comedy-Formeln. Es bleibt bei kurzen Momenten der Andacht. Danach geht die gewohnte, abgekartete Maschinerie weiter. Das Stürzen auf der Ski-Piste taugt hier etwa zur Slapstick-Nummer. Und wie das so ist bei Ski-Unfällen: Sofern man sich nicht ernsthaft verletzt hat, schaut man vielleicht beschämt, wer den Sturz beobachtet haben könnte, man klopft sich schnell den Schnee von der Jacke und fährt dann unbekümmert weiter.

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