Nach seinen gefeierten, preisgekrönten Werken „Get Out“ und „Wir“ hat Regisseur Jordan Peele mit „Nope“ einen weiteren meisterhaften Horrorfilm und Sommer-Blockbuster gedreht.
Nope, das ist eine saloppe Verneinung, ein Ausspruch panischer Verwunderung. In einer Schlüsselszene in Jordan Peeles neuem Film aber auch ein Vergewissern der eigenen Autonomie. Ein Plädoyer für das Nicht-Mitmachen. Da sitzt Oscar-Preisträger Daniel Kaluuya, der hier den Cowboy OJ spielt, im Auto und wird sich dazu entschließen, den Blick abzuwenden, den Lauf der Dinge zu durchkreuzen.
Über der Ranch seiner Familie schwebt derweil ein UFO, das gerade Stoffwechsel betreibt. Ein Regenschauer aus Blut und kaputten Gegenständen geht zu Boden – Überreste dessen, was sich die fliegende Untertasse einverleibt hat. Mit ihr installiert Jordan Peele ein gespenstisch Ding in seinem Film. Zunächst erscheint es nur schemenhaft, tarnt sich als Wolke, ist nur kurz im Vorbeizischen am Nachthimmel zu sehen, bevor es zum ersten Mal in ganzer unbehaglicher Pracht sichtbar wird.
Das UFO ist eine Sensation
Der Regisseur weiß, wie man Horror wirkungsvoll inszeniert, mit der Vorstellungskraft des Publikums, der Spannung durch Sicht- und Unsichtbarkeit spielt. OJ’s Vater ist einem Angriff des Raumschiffs schon zum Opfer gefallen: getroffen von einer umhergeschleuderten Münze. Später beginnt das fliegende Ding aus dem Himmel, die Pferde von der Ranch zu holen – Dressurpferde, die OJ und seine Schwester Emerald (Keke Palmer) für Filmproduktionen vorbereiten.
Das nervenaufreibende Wissen darum, dass das UFO wiedererscheinen wird, schließt „Nope“ recht schnell mit seinen bildhaften Vieldeutigkeiten kurz. Es geht einher mit dem Wissen um die nächste Aufstiegsgelegenheit, denn es taugt zur Sensation und Sensationen erschaffen Stars. OJ und Emerald können sich diesem gesellschaftlichen Aufstiegsversprechen nicht verwehren, auch wenn sie unterschiedlicher Ansicht sind, welchen Weg es zu bestreiten gilt.
Filmproduktion und Ausbeutung
Das Thema Rassismus, mit dem Jordan Peele in „Get Out“ seinen großen Durchbruch feierte, taucht auch hier wieder auf als Frage der Teilhabe. „Nope“ bezieht sich auf eine Geschichte der Entertainment-Industrie, die Schwarze in die zweite Reihe verbannt, sie aus Narrativen ausgeschlossen hat. Das erscheinende UFO dient auch dazu: diese strukturelle Schräglage zu enthüllen.
Gleich zu Beginn gibt es eine Kamerafahrt durch einen Tunnel, den man später im Inneren der fliegenden Untertasse verorten kann. An dessen Ende erscheint eine Leinwand, auf der das galoppierende Pferd Sallie zu sehen ist – ein Ursprungsmythos für das Medium Film. Dessen Reiter, ein Schwarzer, der ein Vorfahre von OJ und Emerald gewesen sein soll, ist in Vergessenheit geraten. Eingeprägt hat sich nur der Name desjenigen, der das Abbild fixiert hat: Eadweard Muybridge.
Hommage an großes Hollywood-Kino
Auch heute dürfen OJ und Emerald nur unsichtbar im Hintergrund die Tiere für den Filmdreh als animalische Ersatz-Stars dressieren. Und selbst hierbei stoßen sie mit ihren nützlichen Hinweisen auf taube Ohren am Set. Filmen als Arbeit, das hat gewissermaßen immer mit Ausbeutung und Aneignung zu tun, indem es Menschen, Tiere und Identitäten zum Verschwinden bringt, sie in Positionen zwängt und den Fokus lenkt. Über die Rassismus-Thematik reicht „Nope“ damit weit hinaus.
Das Sehen und Gesehen-Werden per se wird Jordan Peeles Keimzelle des Schreckens. Er reichert sie als Verbeugung vor großen Genreklassikern mit Elementen des Westernfilms, des Mystery-Grusels und schlichtweg großem Blockbuster-Kino an, ohne jemals bloß zu kopieren. „Der weiße Hai“ blitzt da durch, wie bereits in vielen Kritiken passend angemerkt wurde. Verfolgungsjagden zwischen Mensch und außerirdischem Vehikel erinnern an Hitchcocks legendäre Flugzeug-Attacke aus „Der unsichtbare Dritte“.
Originelle Sicht auf das Alien-Genre
Gleich zu Beginn, wenn Peele den Tod des Vaters in Szene setzt, rückt er dessen zerschnittenes Auge in den Fokus. Die Parallele zum „Andalusischen Hund“ liegt nahe. Auch dort war das Zerteilen des Sehorgans gleichermaßen psychoanalytische Metapher, Verweis auf das eigene Filmmedium wie eine radikale Warnung vor den Sehgewohnheiten, die im Folgenden seziert werden.
Und so hat auch Jordan Peele mit „Nope“ einen unberechenbaren Film gedreht. Eine ganz und gar ungewöhnliche UFO-Geschichte, die den Einbruch des Außerirdischen nicht als ultimatives Fremdes aus einem Jenseits begreift. Stattdessen wird es nur zum übergroßen, verschlingenden Sinnbild einer raubtierkapitalistischen, selbstausbeuterischen Kulturindustrie, die, wie es auch im Film mehrfach explizit angesprochen wird, alles Alltägliche und jede noch so grausame Tragödie in reißerisches Spektakel verwandelt.
Ein blutiger Zwischenfall mit einem Affen – ein weiteres ausgebeutetes Wesen – dient ihm als warnendes Beispiel. Es ist seltsamerweise die intensivste, schaurigste Horrorsequenz, die der gesamte Film zu bieten hat, und damit erneut: ein aufreizendes Spektakel. Solche Ambivalenzen lässt Jordan Peele zu, er braucht sie sogar und findet doch einen Weg, Gewalt nicht auszuschlachten. Es ist diese permanente Dopplung von Spektakel, das der Film in seinem Bombast versprüht, und kritischer Selbstreflexion, die den eigenen Blick thematisiert.
Ein schlechtes Wunder
Einmal fragt Daniel Kaluuyas Figur, ob es schlechte Wunder gebe. Tatsächlich ist vielmehr das Ausbleiben des Wunders der eigentliche Horror in Jordan Peeles Film. Das Wundersame und Mysteriöse des UFOs ist allzu irdischer Natur. Irgendwann finden sich Menschen in einem Theater ein, um einer Art moderner Opferung beizuwohnen. Man wartet darauf, dass sich das UFO aus den Wolken herbeischwingt, um eine große Show zu liefern. Es ist der Versuch, das Transzendente im Alltag zu erfahren, dem Numinosen zu begegnen. Spektakel als materieller Wiederaufbau religiöser Illusion, wie es Guy Debord formulierte.
Religiösen Kult hat man in eine Jahrmarktsattraktion und leeren Kunstgewerbsgegenstand verwandelt, der nichts Inhaltliches mehr birgt. Entertainment und Content springen als Ersatzsysteme ein. Transzendenz meint in „Nope“ nur noch den Ausbruch aus dem einen Arbeitsverhältnis in ein anderes der öffentlichen (Re-)Präsentation. Sie lebt allein von bloßem Glotzen und Gaffen. Letztendlich finden sich alle im Gedärm des UFOs wieder. Und Peeles Publikum wird fortwährend zum Auditorium, wenn sich die Western-Landschaft, die Kameramann Hoyte van Hoytema so imposant einfängt, in einen Klangraum gespenstisch gellender Schreie verwandelt.
Das Hinsehen zerstört die Ordnung
Gefährlich wird Kunst dann, wenn sie zurückschaut, das führt Peeles Film auf clevere Weise vor. Das bloße Anschauungsobjekt für die Gaffenden enthüllt sein zerstörerisches Potential, wenn da Blicke aufeinandertreffen, wenn man sich einander erkennt, die Ausbeutenden die Ausgebeuteten und umgekehrt, wenn die vergnügungssüchtige, verblendete Gesellschaft plötzlich in tiefere Einsichten vordringt – dann kann dieser Kontakt nur die Ordnung zerstören, sie vernichtend in sich aufsaugen, wie es in „Nope“ zu erleben ist.
Und doch ist Peeles Metapher damit nicht gefasst. Es ist zugleich die schreckliche Parodie eines menschlichen Suchens nach betäubender Versenkung, Immersion, die das tödliche Vehikel wörtlich nimmt. Es ist, wie bereits angedeutet, die Verführung eines Karriereversprechens, das ein Verwandeln des Selbst in Gebrauchsware voraussetzt. Das gesprochene ‚Nope‘, das bewusste Nicht-Teilnehmen und -Hinsehen ist hier als Revolte zu verstehen. Film bildet eine Schutzmembran, sich darin selbst zu erkennen.
Hoffnungsvoller Meta-Blockbuster
Wie Jordan Peele seinen Erzählgegenstand permanent verwandelt und mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten auflädt, ergibt vielleicht hier und da eine etwas schiefe, widersprüchliche Metapher, aber einen vielschichtigen und nebenbei umwerfend produzierten Film. „Nope“ glänzt als Blockbuster über Blockbuster sowohl im Erfinden und Reflektieren als auch in seiner durchdachten technischen Umsetzung, die eine Lust an interessanter Montage und eindrucksvoll komponierten Schauwerten erkennen lässt.
Es ist eine Rückbesinnung auf ein populäres Filmemachen, das ein Bewusstsein für sich selbst zur Diskussion stellt, das zeigt, dass Popcorn-Kino noch subversive Gedanken verhandeln kann. Das trotz seiner audiovisuellen Größe im Kern ganz klein und konzentriert seine Idee ausbreitet, auch wenn es zwangsweise nicht gänzlich aus seiner aufgeplusterten Hollywood-Haut fahren kann. Und es ist bislang Jordan Peeles bestes Werk. Gerade sein Spiel mit verschiedenen Tonalitäten hat er hier noch einmal perfektioniert, ausbalanciert.
Vielleicht nur eine Falle
Im Laufe des Films wird er die Macht des analogen Filmemachens und Fotografierens heraufbeschwören. Höchstes Misstrauen ist angebracht, wie der Autorenfilmer seine Erzählung auflöst. Vielleicht ist der Eigensinn, den diese Hollywood-Produktion mitbringt, ja tatsächlich nur ein weiterer Trugschluss, um sein Publikum in sich aufzunehmen. Peele legt diese Falle jedenfalls geschickt aus.
Stars gebiert sein Genrestreifen, eine Aussicht auf Überwindung des Gegebenen, während er doch einen Kippmoment erlaubt, ob nicht ebendieses nur in einem Teufelskreislauf gefestigt wird. Wie subversiv kann ein einzelner Film überhaupt sein? Ein interessantes, dreistes, aber auch cleveres Detail fasst diese Frage zusammen: Nach dem Abspann wird kurz ein Werbebanner für einen Vergnügungspark eingeblendet. In der Tat, die Attraktion des Films ist schon lange in unserer Welt jenseits der Leinwand.
„Nope“ läuft seit dem 11. August 2022 im Verleih von Universal Pictures in den deutschen Kinos.
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Bildquelle:
- nope-cast: Universal Studios. All Rights Reserved.