„Civil War“ zeigt das Geschäft hinter den Schreckensbildern: Verrohung überall?

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Kirsten Dunst und Cailee Spaeny in "Civil War"
Foto: A24/ DCM

In den USA tobt ein brutaler Bürgerkrieg: Alex Garlands neuer Film „Civil War“ ist ein verstörendes Paradestück über mediale Gewalt.

Den Mann im Autoreifen wird man nicht mehr los. Gefesselte Arme, ein Blick in die Kamera, dann verzehren Flammen seinen Körper. Die traumatisierte Kriegsjournalistin Lee (Kirsten Dunst) wird früh im Film von dieser Erinnerung heimgesucht. Viele weitere Schreckensbilder werden folgen. In einer der furchterregendsten Sequenzen von „Civil War“ stolpern Lee und ihre Kollegen in eine gespenstische Szenerie: Mitten im Nirgendwo stehen die Überreste eines Winterwunderlandes.

Ein geschmückter Weihnachtsbaum, Santa Claus, zerstörte Wohnzimmerkulisse, Menschenpuppen liegen dort zerteilt. Eine blutüberströmte Leiche am Boden heißt die Gäste willkommen, während eine Maschine künstliche Schneeflocken in den sommerlichen Himmel pustet. Dazwischen lauert der Scharfschütze auf seine Chance. Ein unsichtbarer Feind schießt aus der Ferne. Beobachten, abwarten, das Ziel in weiter Ferne töten – Aufgaben eines Tages.

Endzeit in den USA

„Das Geschoß jedoch verwandelt den Raum in eine Strecke, eine Flugbahn, in eine Zone des Unheils, die sich über Dutzende, Hunderte Tausende von Kilometern erstrecken kann. Obgleich der Agent der Gewalt in immer weitere Ferne rückt, ist seine Waffe eine hautnahe Gefahr. Sie wird zum Geschoß, zum Projektil. Sie schleudert die Gewalt durch den Raum und befreit sie von der Fixierung an den Ort. So weit die ballistische Kurve reicht, so weit reicht das Territorium der Gewalt“, schreibt Wolfgang Sofsky in seinem „Traktat über die Gewalt“ und der Autorenfilmer Alex Garland lässt seine Figuren jenes Territorium zwei Stunden lang in permanenter Todesgefahr durchstreifen.

Der ganze Kinosaal verwandelt sich imaginär in ein solches Territorium, so drastisch wie seine Brutalität in den Bildern und die krachenden, manchmal aber auch betont zurückgenommenen oder gänzlich konträr eingesetzten Geräuschkulissen über das Publikum herfallen. Wenigen Filmen in den vergangenen Jahren ist es so eindringlich gelungen, ein Gespür für den menschlichen Wahnsinn des Krieges als Ende aller Rationalität zu vermitteln.

Scharfschütze in "Civil War"
Warten auf den tödlichen Schuss Foto: A24/ DCM

„Civil War“ reist durch ein apokalyptisches Amerika

Der Krieg hat hier jegliches Zeitempfinden aus den Angeln gehoben. Von den üblichen Gebräuchen, Festen und Routinen bleiben Ruinen und gefrorene Eindrücke, freigegeben zum Verfall, gedehnt in die Ewigkeit als Relikte einer Zivilisation, die sich noch nicht endgültig dahingerafft hat, aber sich dabei alle Mühe gibt. „Civil War“ spielt in einem USA der nahen Zukunft, in dem ein Bürgerkrieg das Land verwüstet. Kalifornien und Texas ziehen als „Western Forces“ gegen die Regierung zu Felde, während Lee und ihre Kollegen, darunter die Nachwuchsfotografin Jessie (Cailee Spaeny aus „Priscilla„), auf dem Weg nach Washington D.C. sind, um die Gräuel des Krieges zu dokumentieren. Mit jeder zurückgelegten Meile, quasi jedem weiteren Höllenkreis wächst das Maß an Zerstörung. Der Vorstoß in das Weiße Haus gleicht dem Gang zur Schlachtbank.

Natürlich wird dieser Film in den USA hitziger diskutiert als hierzulande. Natürlich ist „Civil War“ leicht lesbar als Reaktion auf den Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 und generell als Parabel auf zeitgenössische Ängste vor gesellschaftlicher Spaltung. Der Brite Alex Garland greift diese Ängste auf und fasst in Bilder, wie es aussehen würde, spielte man sie einmal bis zur Eskalation durch. Kriegsbilder aus der weit entfernten Fremde rücken plötzlich ganz nah in das Bewusstsein. Dennoch ist dies weder ein Film über US-Politik noch über die Ära Trump noch ist es sinnvoll, dem Film vorzuwerfen, wie vage er in seiner erzählerischen Konstellation bleibt. Sein amerikanisches, dystopisches Bürgerkriegsszenario ist zuvorderst ein geschickter Marketingstreich und das bloße Schachfeld, der Untergrund, auf dem sich Garlands Spieler bewegen.

Verwüsteter Straßenzug in "Civil War"
Endzeit in den USA Foto: A24/ DCM

Alex Garland abstrahiert Tagespolitik zur Gewalt-Studie

In Wirklichkeit – und an solchen Punkten wird Kino subversiv – drängt „Civil War“ schnell auf eine Metaebene vor, die nicht nur von Kriegserfahrungen im Allgemeinen handelt, sondern vor allem Kriegsrezeption und -inszenierung, also nicht zuletzt auch den Umgang mit dem eigenen Medium ins Visier nimmt. Weder braucht es dafür ausschweifende Erklärungen zur Konfliktentstehung noch kann und sollte man versuchen, den Film auf eine simple tagespolitische Botschaft herunterzubrechen.

Haltung beweist „Civil War“, indem er über die Montagestruktur Essenzen von Krieg herausschält. Seine Haupt- und Nebenschauplätze sind überall auf der Karte verstreut. Ihre erkundete Gleichzeitigkeit verdichtet sich zum Panorama, in dem hier an der Front die Truppen aufmarschieren und dort Waffengeile und radikalisierte Nationalisten ihr eigenes kleines Reich in der Abgeschiedenheit verteidigen, wüst ihr Revier und ihre ausgemachten Feindbilder markieren, sie hinter Tankstellen foltern, in Massengräbern verscharren und niedersten Instinkten freien Lauf lassen.

Gewalt ist hier Gewalt, das pure Alles oder Nichts, das weder mit hehren Motiven noch Taktiken oder Erklärungen zu rechtfertigen ist. Und dann gibt es noch diese Parallelwelten der gepflegten Vorgärten und Konsumtempel, in denen Menschen einfach ihren ganz gewöhnlichen Alltag konservieren. Raushalten wollen sie sich. Es sei das Beste bei den ganzen Nachrichten. Illusionen des Apolitischen.

Kirsten Dunst im weißen Haus in "Civil War"
Showdown im Weißen Haus Foto: A24/ DCM

Drastische, surreale Gräuelbilder

Was all diese Schauplätze und Stationen verbindet, ist zum einen der menschliche Körper als Medium, der gerichtete Bewegungen durch das Land vollzieht, aber in Wirklichkeit nur das Aufgesprengte und chaotisch Zerstreute kriegerischer Raumzeit erfährt. Einen Zustand, der Zivilisation und Kultur nur noch in Form von bereits erwähnten Überresten, als Farce und Larve erkennen lässt. Immer wieder trifft jener Körper auf sein verstörendes Spiegelbild: Zerfetzte, Leblose, Geschändete. Die Gewaltbilder von „Civil War“ sind extrem und schmerzhaft. Nicht nur, weil die Kamera so erbarmungslos draufhält, sie bei strahlendem Sonnenschein glasklar zeigt, sondern weil teils Groteske in der Inszenierung eine so surreale Stimmung erzeugt. Sie führt mit wabernden Klängen und eigenartigen Lichtbrechungen hinab in den audiovisuellen Wahnsinn und macht dort weiter, wo Alex Garlands Filmalbträume „Ex Machina„, „Auslöschung“ und „Men“ endeten.

Die Frage nach einer Moral ist in der Drastik solcher Spielfilmbilder immer automatisch gestellt. Sie wird umso brisanter bei der Kaltschnäuzigkeit und dem Zynismus, den Garlands Szenen mitunter an den Tag legen. Zynisch ist jedoch nicht dieser Film, sondern die Welt, auf die er reagiert, sind die Figuren, die versuchen in ihr zu bestehen. Im einen Moment bewundern sie die Schönheit der aufflackernden Gefechte am Nachthimmel. Im nächsten Moment knallen die Schüsse in unmittelbarer Nähe, wird vor den eigenen Augen elendig verreckt und das abstrakte Naturschauspiel zum Todestheater. Gerade noch sind Figuren knapp mit dem Leben davongekommen, da verwandelt sich die Fahrt durch einen brennenden Wald in pure ästhetische Zeitlupen-Schönheit, untermalt mit betulich melancholischem Singsang, als würde man eine Urlaubs-Story in den sozialen Netzwerken sehen.

Kriegsfotografen in "Civil War"
Das Leben für die Wirklichkeit aufs Spiel setzen Foto: A24/ DCM

„Civil War“ wirft einen ambivalenten Blick auf Kriegsfotografie

In einer Zeit, in der tödliche Waffen in TV-Sendungen für Kinder mit lustigen Gesichtern zum Sprechen gebracht, Kriegserfahrungen als Internet-Meme herhalten oder Gefechtsszenen wie Eindrücke aus einem Hollywood-Blockbuster aufbereitet und vermarktet werden, sind solche inszenatorischen Schocks, stilistischen Überzeichnungen und Irritationen wahrscheinlich nur eine konsequente Reaktion, eine passende und entlarvende Spiegelung.

Permanent lässt „Civil War“ dabei seine Figuren über das mediale Festhalten des Abscheulichen kreisen. Alex Garland zeigt den Alltag der Kriegsfotografen und -reporter auf zutiefst ambivalente Weise. Man weiß um den Wahnsinn, der sich dort draußen abspielt und begibt sich doch in Gefahr. Man beschönigt sich das Selbstmordkommando mit journalistischer Mission, Faktisches festzuhalten, Bilder für die Welt zu liefern, über die andere später urteilen und Fragen stellen können. Zugleich negiert man damit die eigene Position, Haltung und Perspektive, womöglich die eigene Verantwortung.

Tod und Bildproduktion

Welche Rolle spielt das überhaupt, wenn man Menschen in ihrem intimsten Moment des Sterbens auf Foto bannt? Wo verläuft die Grenze zur Komplizenschaft, da sich der sterbende Körper in ein reines Anschauungsobjekt und fixiertes Bild verwandelt? Welche Realität kann ein solches erhellendes wie sensationelles, indiskretes Bild überhaupt vermitteln? Und wie kann sich ein Spielfilm als weitere, quasi doppelt gebrochene mediale Ebene dazu verhalten?

Garland verfremdet Ereignisse, Todesfälle, Gewalt im Blick durch den Apparat. Menschen werden mit zahllosen Schnappschüssen und herausgelösten Standbildern regelrecht zu Tode fotografiert. Somit wird die Studie eines vermeintlich objektiven Dokumentierens und damit einhergehender Traumata ebenso zur Annäherung an den Sadismus, der diesem Akt innewohnt. Über die Verwandtschaft von Fotografie und Tod, dem Lebensvernichtenden und Objektifizierenden sowie die Möglichkeiten der Empathie beim Anfertigen und Betrachten von Fotografien schrieben bereits Roland Barthes und Susan Sontag in ihren berühmten Essays „Die helle Kammer“ und „Das Leiden anderer betrachten„. Alex Garland befragt diese Themen erneut in einem Zeitalter der Bilderkriege und einer omnipräsenten, gefürchteten Abstumpfung.

Cailee Spaeny als junge Kriegsfotografin
Die Nachwuchsfotografin Jessie such immer nach dem perfekten Bild. Foto: A24/ DCM

Der abgebrühte Blick

Gefühle jedenfalls gilt es im Dokumentieren auszuschalten, lernen die grobkonturig umrissenen Figuren von „Civil War“. Was zählt, ist der neutralisierte Blick. Man strebt nach dem perfekten Motiv. Natürlich auch, um später die eigene Karriere vorantreiben zu können. Krieg ist schließlich ein Geschäft auf diversen Ebenen; das zeigt dieser Film. Kirsten Dunsts Protagonistin wandelt derweil zombiegleich durch die Welt, bis sie unter der Last der Eindrücke zusammenbricht. Zugleich ist sie es, die ihrer neuen Kollegin abgebrühte Ratschläge in dieser grässlichen Normalität des Krieges erteilt. Ob sie auch ein Foto von ihr schießen würde, sollte man sie erschießen, fragt ihre Kollegin Jessie. „Was denkst du denn!?“, antwortet sie eiskalt.

Die unbequeme Frage nach einer Kultur der Verrohung, welche die Reporter in „Civil War“ in ihrer permanenten Bildproduktion und Selbstdisziplinierung im Dienste der Aufklärung mitbefördern, kann und will Alex Garland nicht abschließend beantworten. Am provokantesten wird sein Film aber immer dann, wenn er zeigt, wie Menschen, egal in welcher Rolle, plötzlich im Krieg aufgehen, Krieg etwas Sinnstiftendes, Antreibendes erhält.

„Civil War“ startet im April in den deutschen Kinos

Garlands Studie wandelt den schmalen Grat zwischen einem Festhalten an Idealen, Werten, Wahrheiten und der puren Lust, dem Berauschen an der Bedrohung ab. Er zeigt Momente, in denen der Kick durch das Barbarische in einer lethargischen und unterkühlten Welt durchschimmert. In denen das Gute der Mission einem schlichten Reproduzieren der unmenschlichen Logik dessen gleicht, das man vor die Linse bekommt. Jessie äußert in einer Szene diese Verschränkung von Angst und Angstlust, einem Gefühl der intensivierten Lebendigkeit explizit.

Also zieht man weiter, beobachtet, gafft, leidet, stirbt, beutet aus, opfert sich, nimmt Kollateralschäden in Kauf und fotografiert und fotografiert, während der Krieg kein Ende kennt. Der letzte Schuss in diesem erschreckenden, sehenswerten Werk fällt nicht im Abdrücken eines Gewehrs, sondern im Klicken einer Nikon-Kamera. Und von den Toten und Lebenden bleiben Licht und Schatten, farbige Pixel auf Leinwand und Film.

„Civil War“ läuft ab dem 18. April 2024 im Verleih von DCM in den deutschen Kinos.

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1 Kommentare im Forum
  1. Der versuchte Sturm auf das Berliner Reichstagsgebäude am 29. August 2020. Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 in Washington D.C. Der Sturm auf Brasiliens Regierungsviertel am 8. Januar 2023.
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