Am Sonntag endete die 73. Berlinale. DIGITAL FERNSEHEN hat die Internationalen Filmfestspiele begleitet und blickt auf einige der stärksten Werke zurück.
Wieder ein Dokumentarfilm! Nachdem bereits bei den Filmfestspielen Venedig 2022 das Künstlerinnenporträt „All The Beauty And The Bloodshed“ den Hauptpreis für sich gewinnen konnte, bestieg auch auf der Berlinale ein dokumentarisches Werk das Treppchen. Der Goldene Bär ging 2023 an „Sur l’Adamant“ von Nicolas Philibert. Der französische Regisseur erzählt darin vom Alltag einer schwimmenden Tagesklinik für Menschen mit psychischen Problemen.
„Sur l’Adamant“ hat sich dabei in einem Wettbewerb durchgesetzt, der von zahlreichen eindrucksvollen Filmen geprägt war. Und auch abseits davon überzeugte die Berlinale in diesem Jahr mit einem überraschend starken, anspruchsvollen Jahrgang, auch ohne die Summe an großen Namen, mit denen die Festspiele in Cannes und Venedig normalerweise aufwarten. Einige der besten Filme des Festivals im Überblick:
The Shadowless Tower
Der koreanisch-chinesische Filmemacher Zhang Lu hat den stärksten Beitrag im Wettbewerb inszeniert. Enttäuschend, dass sein bewegendes und formal meisterhaftes Drama am Ende des Festivals leer ausging! „The Shadowless Tower“ folgt einem Journalisten durch Peking, wo er Menschen trifft, die der Vergangenheit nachtrauern, in erstarrten Lebensphasen festhängen.
Im Zentrum steht die Konfrontation mit den eigenen familiären Abgründen. Werden wir wirklich so wie unsere Eltern? Ein eindrucksvoller Großstadtfilm über das Gespenstische im Menschen, ein virtuoses Spiel mit der Zeit, das in jeder Einstellung, jeder Szene mit einer eigenen Pointe begeistert. Ein Kameraschwenk und das nächste Wunder ist geschehen.
Die Fabelmans
Da sind sie doch, die Stars: Steven Spielberg, der diesjährige Ehrenpreisträger der Berlinale, kehrt mit seinem persönlichsten Werk zurück auf die Kinoleinwände. Dabei legt er eine Kraft und Cleverness an den Tag, die seine Filme seit Jahren nicht mehr so deutlich vorweisen konnten.
Sein für sieben Oscars nominiertes Werk „Die Fabelmans“ erzählt auf autobiographische Weise von einem Jungen, der versucht, mit dem Medium Film seinen eigenen Ängsten und Visionen zu begegnen. Großes Familiendrama, großer Kino-Zauber und ein kluges Nachdenken über filmisches Sehen, über Fiktion und Wirklichkeit! Ab dem 9. März im Kino.
Music
Angela Schanelecs Filme sind eine beachtliche Herausforderung, aber auch ein Unikat in der deutschen Filmlandschaft. Ihr neues Werk „Music“ beschäftigt sich mit dem Ödipus-Mythos, um ihn in all seine Motive und Facetten aufzuspalten. Schanelec legt sie als Bedeutungsebene über einen Reigen elliptischer, streng komponierter und gedehnter Einstellungen und Ereignisse. Insofern passt das erste Bild: Wolkenschleier, die über ein Gebirge ziehen und die Sicht vernebeln. Dann der schockierende Donnerschlag.
Das Mythische sucht die Gegenwart heim, Familienmitglieder sterben, ein ehemaliger Häftling (Ödipus?) versucht, mit Hilfe des Singens weiterzuleben, wo alles hoffnungslos scheint. Ein kryptischer, zutiefst faszinierender Kraftakt! Silberner Bär für das Beste Drehbuch. Ab dem 4. Mai im Kino.
Here
Was suchen die Menschen im Unterholz? Bas Devos hat eine ungemein hypnotische Suchbewegung verfilmt. Sein Gewinnerfilm in der Encounters-Sektion der Berlinale erzählt von der Reise eines rumänischen Arbeiters in Brüssel, der darauf wartet, in seine frühere Heimat zurückzukehren. Es ist das Umherwandeln in einer Stadt, in der er nie heimisch wurde und die er nun, da er womöglich beginnt, heimisch zu werden, wieder verlassen wird.
Wohin also? Umwege nehmen, sich verirren, vom Weg abkommen. „Here“ führt vom Baulärm der Hochhäuser ins stille Moosgeflecht im Wald, wo eine Wissenschaftlerin Proben nimmt. Endlich Ruhe! Ein Film über Realitäts- und Weltflucht. Die kunstvollen Bild- und Klangräume, die Bas Devos hier in seiner inszenierten Momentaufnahme erschafft, schwingen nach.
Roter Himmel
Christian Petzold festigt seinen Ruf als einer der talentiertesten deutschen Filmemacher der Gegenwart. In „Roter Himmel“ erzählt der Regisseur eine scheiternde Liebesgeschichte in flirrender Sommerhitze. Während ein Schriftsteller an den eigenen Ansprüchen und seinem Leistungsdruck zu zerbrechen droht, lodern bereits die Flammen am Horizont. Eine Katastrophe scheint sich anzubahnen. Petzold wandelt gekonnt zwischen Komödie und Tragödie, lässt seinen großartigen Hauptdarsteller Thomas Schubert glänzen. Und am Ende: ein kluger Denkanstoß über das Erzählen an sich. Ab dem 20. April im Kino.
De Facto
Selma Doboracs Schauspiel-Experiment führt in finsterste Abgründe. Ihr Film „De Facto“ ist der vielleicht verstörendste, den man in diesem Jahr auf der Berlinale erleben konnte. Doborac platziert darin zwei Darsteller in einem idyllischen Unterschlupf im Park, Blätter rauschen, die Sonne scheint. Ihre Gesichter spiegelt der glänzende Tisch vor ihnen. Und dann beginnen sie zu lesen: barbarischste Texte, die anhand der Verbrechen des Dritten Reichs entstanden sind. Folter, Vergewaltigung, Mord.
Doborac erkundet damit die Grenzen des Spiels, bis die Sonne versinkt. Wie stehen gesprochenes Wort, Körpersprache und Raum im Verhältnis? Kann der Darsteller überhaupt eine Distanz zu solchen Sätzen aufbauen? Ab wann verwandelt er sich in das Monstrum, das die Stimme heraufbeschwört? Drei quälende Stunden dauert dieser Versuchsaufbau, der einen erschüttert, aber auch angeregt, nachdenkend, begeistert zurücklässt.
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