
„Flow“ wurde jüngst mit dem Oscar für den besten Animationsfilm ausgezeichnet. Jetzt kann man das außergewöhnliche Werk auch in Deutschland sehen.
Der Oscar-Gewinn von „Flow“ ist sicher keine Selbstverständlichkeit. Schließlich kommt es selten vor, dass in der Kategorie Bester Animationsfilm ein Werk ausgezeichnet wird, das weder einen Riesenkonzern wie Disney oder irgendwelche prominenten Namen im Nacken hat. Neben „Flow“ waren beispielsweise der Kassenschlager „Alles steht Kopf 2“ und der Publikumsliebling „Der wilde Roboter“ für die Trophäe nominiert, die sicherlich naheliegende Gewinner gewesen wären. Doch am Ende triumphierte tatsächlich diese Independent-Produktion aus Lettland, Frankreich und Belgien, die darüber hinaus als Bester Internationaler Film bei den Oscars vertreten war und bereits mit zahlreichen Preisen und fast einhelligem Kritikerlob überhäuft wurde.
Allein formal sticht der Film heraus. „Flow“ wurde komplett mit der kostenlosen Software Blender erstellt. Der Film von Regisseur Gints Zilbalodis erlangt dadurch eine ganz eigenwillige Ästhetik. Während viele Animationsfilme, gerade von Disney/Pixar heute versuchen, immer plastischer, immer lebensechter zu animieren, also die Natur immer realistischer nachzuahmen, setzt dieses Werk auf seine offensive Künstlichkeit. „Flow“ hat einen oftmals sehr eckigen und kantigen Stil. Härchen auf den Körpern von Tieren verschleiern etwa selten, dass sie digitale Pixel sind. Umrisse, Rundungen und Wölbungen setzen sich aus mitunter grob bepinselten Flächen zusammen. Kleinteilige Details erscheinen oftmals eher an den unscheinbaren Rändern der Bilder.

„Flow“ hat eine eigenwillige Ästhetik
Bewegliches und Unbewegliches formen hier verschiedene visuelle Schichten, die irgendwo zwischen zweidimensionalem Zeichentrick und immersiven 3D-Welten angesiedelt sind. Wenn die Kamera über Wasser und durch dichte Wälder fährt und in die Gesichtern von Tieren blickt, dann ist all das jederzeit als künstliche Simulation erkennbar. Ihre Unschärfen und Abstraktionen sind Teil einer kryptischen Welt, die neu im Entstehen ist.
„Flow“ hat etwas faszinierend Zeitloses, ist weniger State-of-the-Art, was im Animationsfilmbereich möglich ist, sondern scheint eher wie ein Konglomerat an Videospiel- und Trickfilmästhetiken der vergangenen Jahrzehnten zu sein, das zugleich Rück- und Vorschau hält, wohin die Reise gehen könnte. Im Umkehrschluss bedeutet das keineswegs, das man diesen Film distanziert verfolgt. Man kann sich dennoch in ihm verlieren, sich von seiner wabernden Stimmung und all den Weiten aufsagen lassen. Wie ein Open-World-Spiel öffnet sich der Raum von „Flow“ immer weiter. Immer neue imposante Schauwerte und Schauplätze gibt er frei.

Was kommt nach dem Weltuntergang?
Gints Zilbalodis und sein Ko-Autor Matīss Kaža knüpfen an den Kurzfilm „Aqua“ aus dem Jahr 2012 an, der in seinen Bildern noch abstrakter gehalten war. „Flow“ erzählt von der Reise einer Katze nach dem Untergang der Welt. Gleich in den ersten Minuten fegt eine gigantische Flutwelle durch den Wald, in dem das Tier herumstreunt. Bald ist alles im Wasser versunken. Bleibt also nur die Flucht auf höchste Gipfel und Boote, um weiterhin zu überleben. Menschen sind fast gänzlich abwesend. Von ihrer Zivilisation erscheinen nur noch unheimliche Spuren, riesige Statuen, Körperteile, die aus der Landschaft ragen. Tempelbauten, Überreste einer Stadt, die so archaisch anmuten wie alles in dieser zerstörten Welt, deren Geschichte für das Publikum ein Rätsel bleibt.
Verschiedene Tiere trifft die Katze nun auf ihrer Reise, manche feindlich, andere freundlich. Ihre Laute ersetzen das gesprochene Wort im gesamten Film. „Flow“ konzentriert sich voll und ganz auf das kontemplative, traumwandlerische Erkunden seiner Welt. Es ist ein Film nonverbaler Gesten in Räumen, die sich dem Surrealen hingeben. Verständlich für alle Altersgruppen und ohne Sprachbarriere. Und natürlich handelt das am Ende weniger von Tieren als von den verschwundenen Menschen, die auch im Kinosaal wohl kaum anders können, als sich zu dem Animalischen in eine Beziehung zu setzen, sich zu vergleichen. „Flow“ stellt das Spiegeln bildhaft über das Wasser aus und den Fabel-Charakter dessen haben bereits viele Kritiken herausgearbeitet.

Tiere führen Menschliches vor
Die Stationen, die die Katze auf ihrer Flucht durchstehen muss, erzählen von Grundkonstanten. Sie beobachten, wie das Misstrauen gegenüber dem Fremden ausgehalten und überwunden werden muss oder aber zur Eskalation führt. Sie suchen nach solidarischen Momenten, führen brandgefährliche Situationen vor, in denen die Tiere vor der Wahl stehen, anderen Notleidenden zu helfen oder nicht.
Das ist oftmals recht simpel in seinen Konstruktionen, bisweilen hemmungslos kitschig in seinen fantastischen, teils religiös aufgeladenen Bildern, aber jederzeit mitreißend in seinem permanenten, verspielten ästhetischen Fluss. „Flow“ demonstriert damit etwas diskussionswürdig Ursprüngliches. So alt und zyklisch menschliche Fantasien von der Apokalypse sind, so sehr sehnen sich diese immer wieder nach dem darin enthaltenen Neuanfang und einem anderen, womöglich besseren Handeln.
„Flow“ läuft seit dem 6. März 2025 in den deutschen Kinos.