Mit „Ant-Man and the Wasp: Quantumania” führt das Marvel-Universum in eine surreale Fantasiewelt. Ein Film über das schlechte Gewissen der eigenen Wunschprojektion.
Zur Realität der Marvel-Filme gehört schon länger, dass das Chaos erzählerisches Prinzip und künstlerische Form geworden ist. So konfus die vergangene MCU-Phase mit schrecklichen Werken wie „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“, „Spider-Man: No Way Home“ oder „Black Panther: Wakanda Forever“ in alle Richtungen expandierte, so konfus geht es nun in Phase Fünf weiter. Das Multiverse hütet sorgfältig seine Rätsel.
Seine ätherisch verschlungenen Pfade und Abzweigungen übersteigen den kreativen Geist, der rat- und rastlos vor den unbegrenzten Optionen der eigenen Schöpfung steht. Figuren spalten sich in zahllose Duplikate auf, begegnen ihren Ebenbildern und haben doch keine interessanten Probleme mehr zu lösen. Alles oder nichts, vorzeitliches Chaos, Weltuntergang oder spätkapitalistischer Status quo mit Superhelden als dessen Agenten – in den Marvel-Filmen gibt es wenig dazwischen.
Der neue „Ant-Man“ ist ein surrealer Bilderrausch
„Ant-Man and the Wasp: Quantumania“ ist nun ein zweistündiges Zwischenspiel, welches das beschriebene Chaos der Vorgängerfilme endgültig in eine grelle Simulation verwandelt. Alles in diesem Film strebt in Richtung Exzess. Wieder geht es hinein in eine Parallelwelt: das Quantenreich. Die Bilder sind noch überbordender, noch skurriler geworden, als es etwa die Multiversen-Reise von „Doctor Strange“ vor Monaten ankündigte und damals doch auf Sparflamme köchelte.
Eine entfesselte Kamera wirbelt durch Pixel, Partikel, Blitze, Funken, Dimensionen, kunterbuntes Gestein und schillernde Wurmlöcher. Man möchte zu einer Sonnenbrille greifen, um sich vor dem psychedelischen Geflacker abzuschirmen, das mitunter an Stanley Kubricks Sternenreise aus „2001“ erinnert. Unübersichtlich, gänzlich künstlich, Ja, aber auf bemerkenswerte Weise stringent in seinen Wimmelbildern. Ähnlich gestrickt und erschöpfend wie das „Multiverse of Madness“, aber deutlich kreativer in seiner Skurrilität.
Die Angst vor dem Markt
Seltsame Monstren, gigantische Organismen flattern da vorbei. Wie überdimensionale Bakterien und Viren – der Corona-Horror hat seine Spuren auf der Leinwand hinterlassen. Mensch und Tier formen sich zu grotesken Neuschöpfungen. Eine schleimige Gestalt sehnt sich nach Körperöffnungen. Der Handlanger des Bösen ist ein schwebender Riesenkopf. „Ant-Man and the Wasp: Quantumania“ schwankt zwischen Cosplay-Convention und furios explodierendem Surrealismus. Wenn sich die Leinwand schon in einen digitalen Cyberspace verwandeln muss, wie es Marvel seit Jahren zelebriert, dann ist der tricktechnische Exzess hier zumindest auf die schwindelerregende Spitze getrieben.
Wieder entsteht dabei ein Werk, das zuvorderst um die eigene Studiopolitik kreist. Das Quantenreich soll von einem Eroberer (Jonathan Majors) befreit werden, der die Macht über Raum und Zeit zu erlangen versucht. Ganze Zeitlinien, Figuren, Welten kann er auslöschen. Kang der Eroberer: Ausgeburt und Sinnbild der Industrie, die mit einem Fingerschnippen unprofitable, geschasste Geschichten tilgen und an anderer Stelle weiterarbeiten kann. Immer neue Figuren, Schauplätze, vollzogene und wieder verkehrte Variationen teleportiert sie in das Bewusstsein der Rezipienten. Kreativ erschaffene Universen und die Logik der Märkte sind schon längst die eigentlichen Widersacher im Wunderland der Superhelden.
Was ich alles sein könnte…
In der visuell eindrucksvollsten Sequenz von „Quantumania“ begegnet Ant-Man nicht nur seinem anderen Ich. Nein, er trifft auf die Optionen eines anderen Ichs. Sie duplizieren sich immer weiter, türmen sich zum gewaltigen Menschenhaufen auf. Die Identitätskrisen und Austauschbarkeiten der eigenen Superhelden, die besonders seit dem letzten „Spider-Man“ oder dem letzten „Thor“ mit seiner Pflege des eigenen Mythos verhandelt werden, erfahren hier noch einmal ein markantes, selbstreferentielles Bild.
Doch da schalten sich Störungen in diese enervierenden Selbstbespiegelungen und Rettungsversuche ein. Die Matrix und Traummaschine wird als solche brüchig und erkennbar. Die erzählerische Rahmung, die „Quantumania“ in der unseren Welt wählt, bevor es hinein in diesen kosmischen Taumel geht, erfährt zum Schluss nämlich eine überraschend kluge Pointe. Marvels neues Superhelden-Abenteuer handelt auch von der Lust an der eigenen Fiktion und von den Fiktionen, die gerade die Kulturindustrie Hollywoods gern als kollektive Fantasie reproduziert, um die Massen zu locken.
Die generationenübergreifende Patchwork-Konstellation um Ant-Man und The Wasp begibt sich hier nach fehlgeschlagenen Experimenten mit der Quantentechnik quasi aus Versehen in die Paralleldimension. Wo die eigenen Kräfte schwinden und nichts mehr geht, lässt man sich vom Lichtspiel einsaugen in diesen anderen Kosmos. Das meint auch: sich als Zuschauer der Immersion des Kinos hingeben. Und wenn man schon einmal dort ist, kann man doch gleich die Probleme vor Ort lösen! So hätten es die Träumer gern.
Ant-Man lernt Verantwortung
Ein unterdrücktes Volk muss da von einem faschistoid inszenierten Tyrannen befreit werden. Und weil in den „Ant-Man“-Filmen gern Größenverhältnisse vertauscht werden, wirft auch das wirre Drehbuch alles durcheinander: Systemisches wird ganz klein, biographische Krisen, Befindlichkeiten und Schuldgefühle werden aufgebauscht, als würden sie die Welt bedeuten. Der kleine Mensch wird zum polternden Riesen, da er sich politisiert und vernünftig wähnt. Ant-Man alias Scott Lang (Paul Rudd), inzwischen ein Buchautor, der sich auf früheren Erfolgen ausruht, wird hier von seiner Tochter (Kathryn Newton) zur Verantwortung für andere erzogen.
Die verstreute Familie soll zusammenkommen, um gemeinsam das Böse zu besiegen und Unterjochten in einer fremden Welt zu helfen. Die USA lecken Wunden. Man hinterlässt dabei zwar ein einziges Schlachtfeld, alles liegt in Trümmern, aber irgendjemand wird schon jubeln. Man fällt sich in die Armen, erhebt sich als Revolutionsführer über die Gepeinigten und geht dann schnurstracks zurück in die Heimat. Ende gut, alles gut – die Erlöser der Welt. Filmische Sinnlichkeit als bewusstseinserweiterndes Mittel.
Erst die Fantasie, dann das schlechte Gewissen
„Quantumania“ zeigt eine Befreiungsfantasie, wie sie Hollywood mit den Mitteln des Fantasy-Kinos nicht illusorischer auf die Leinwand zaubern kann. Mit ihr wurden und werden bekanntlich Kriege ausgetragen. Doch Halt, wieder im Hier und Jetzt angekommen, ist dem Superhelden Ant-Man tatsächlich etwas mulmig in der Magengegend. „Quantumania“ wird mit einer schroffen Entgleisung enden. Ist mit der erfolgten Reise in die verzerrte Selbstanbetung einer Heldentruppe nicht viel größeres Übel beschworen? Von der überstandenen, knapp zweistündigen Reizüberflutung bleibt nur noch ein Trugbild übrig. Die Wirkung der Droge Simulation lässt nach.
Von einem Massensterben, einer kommenden Katastrophe ist in „Ant-Man“ mit Blick auf die neue Marvel-Phase die Rede. Ganz kurz hält der Superstar unter uns auf offener Straße inne. Das schlechte Gewissen meldet sich schockartig zu Wort. Zum vielleicht ersten Mal tritt gerade auch eine Post-Credit-Scene in produktiven Dialog mit der zuvor entfalteten Handlung. Unheil kündigt sich da folgerichtig an, welches die naive Familien- und Heldenideologie als blinden Fleck missachtet. Ein interessanter Ausgangspunkt, um daran anzuknüpfen! Aber Hey: „Let’s not overthink it!“, redet man sich ein. Haha.
„Ant-Man and the Wasp: Quantumania“ läuft ab dem 15. Februar 2023 im Verleih von Walt Disney in den deutschen Kinos.
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