„A Quiet Place: Tag Eins“: Der bisher stärkste Teil der Horror-Reihe

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Poster von "A Quiet Place: Tag Eins"
Foto: Paramount Pictures

Plötzlich verstummt die ganze Welt: „A Quiet Place: Tag Eins“ erzählt eine Vorgeschichte zu den ersten beiden Teilen rund um eine gefährliche Alien Invasion.

Die Bedrohung von außen gleicht zunächst noch einem Naturspektakel. Im ersten Akt von „A Quiet Place: Tag Eins“ schaut die von Lupita Nyong’o gespielte Sam verblüfft in den Himmel, welcher von Feuerbällen zerrissen wird. Ein Meteoritenschauer scheint über Big Apple zur Erde zu regnen. Doch statt Gesteinsbrocken fallen Monster zu Boden. Ein Krieg bricht aus, der gewohnte Alltag ist dahin. Die fremdartigen Wesen krabbeln wie gigantische Spinnen über Wolkenkratzer und erobern ihr neues Territorium.

Regisseur und Autor Michael Sarnoski geht damit zurück an die Wurzeln der erfolgreichen Horror-Reihe: an den ersten Tag der Alien-Invasion. Die Außerirdischen, das ist bereits aus den Vorgängern bekannt, verfügen über ein empfindliches Gehör und machen bei jedem kleinsten Mux Jagd auf die Geräuschquelle. Als ästhetische Erfahrung besitzt diese Prämisse noch immer ihren Reiz! Sie schafft Spannung und Intensität im Sehen, wenn das Selbstverständliche plötzlich zur Herausforderung wird. Wenn ein Wasserhahn nur minimal aufgedreht werden kann, um sich den Schmutz aus dem Gesicht zu waschen. Wenn eine Dose nur langsam geöffnet werden darf, damit ihr Inhalt nicht zur Henkersmahlzeit verkommt. Und in der Ferne klappern und fauchen bereits die Aliens, um erbarmungslos zuzuschlagen und den nächsten Schock zu kreieren.

Lupita Nyong'o in "A Quiet Place: Tag Eins"
Sam und ihre Katze Frodo geraten in die Apokalypse. Foto: 2023 Paramount Pictures. All Rights Reserved.

„A Quiet Place: Tag Eins“ überragt die Vorgänger

„A Quiet Place: Tag Eins“ lässt sich mit beachtlicher Konsequenz auf seine Ausgangsidee ein. Bis auf wenige geflüsterte Satzfetzen und Erklärungen arbeitet der Film vorrangig mit nonverbalen Mitteln. Er setzt auf expressive Mimik und Gestik, Körper in Bewegung, die in dem Minimum an Handlung und Erklärungen um ihr Leben kämpfen. Der dystopische Untergang, den die Reihe zeigt, führt somit zu einem künstlerischen Kommunizieren jenseits des gesprochenen Wortes, das nunmehr zur tödlichen Bedrohung geworden ist. Soweit alles beim Alten.

„Tag Eins“ ist jedoch der stärkste der drei Teile, weil er sich endlich von dem bieder konservativen Familien-Klein-Klein der Vorgänger befreit. Er verlässt deren starres ideologisches System, drängt in die Öffentlichkeit und öffnet wieder den Blick auf die Welt, anstatt seine Spannung nur aus dem Kampf um Abschottung und Rückzug zu ziehen. Teil 3 ist außerdem dichter und klarer in seiner erzählerischen Bewegung konstruiert als das träge Hin und Her des zweiten Teils. Der frische Wind in Drehbuch und Regie steht der Reihe also gut zu Gesicht! Nichtsdestotrotz hat auch dieser Film damit zu kämpfen, seine Erzählung nicht so stark einzudampfen, dass sie in bloßer Beliebigkeit versandet.

Mittendrin im Weltuntergang

Neue Erkenntnisse liefert „Tag Eins“ kaum. Er erzählt über den Ausgangspunkt der Katastrophe nicht mehr als seine Vorgänger, weil er sich ohnehin mehr für die sinnbildlichen Konturen des Szenarios interessiert. „A Quiet Place: Tag Eins“ lädt in erster Linie dazu ein, im Weltschmerz zu baden, die Apokalypse auf der Leinwand testweise zu ertragen. Gegenwärtiger Katastrophenstimmung verleiht man somit ein künstlerisches Ventil. Das gebeutelte Amerika, das er skizziert, taumelt am Abgrund.

Die Bilder der Terroranschläge des 11. Septembers haben sich dermaßen in das kulturelle Gedächtnis eingeschrieben, dass man sie auch von diesem New-York-Film kaum trennen kann. „A Quiet Place: Tag Eins“ erinnert häufig an den Found-Footage-Schocker Cloverfield, der ebenfalls das 9/11-Trauma als Monsterfilm adaptierte. Wenn hier Gebäude einstürzen, gigantische Staubwolken durch die Straßen fegen und sich als graue Masken auf Gesichter legen, dann sind das gespenstische Szenen und Eindrücke. Die Kameraarbeit von Pat Scola ist in solchen Momentan hautnah an den Figuren und ihrer geraubten Wahrnehmung und Panik, wenn sie sich durch das unübersichtliche Chaos kämpfen oder sich in Flüchtlingsströmen durch den Großstadtdschungel schieben. Krieg und Vernichtung suchen diese Welt heim und bringen ihre angenommene Sicherheit zum Kollabieren.

Szene aus "A Quiet Place: Tag Eins"
Bloß keine Geräusche! Foto: 2023 Paramount Pictures. All Rights Reserved.

Eine letzte Pizza vor dem Tod

Lupita Nyong’o als Repräsentantin dieser filmischen USA oder vielleicht der gesamten Welt schleppt sich nur noch als Schmerzensgestalt umher. Sie ist auf der Suche nach betäubenden Medikamenten, auf dem Weg in den nahenden Tod. Nyong’o spielt das mit ergreifender Ausdrucksstärke. Ihre Figur Sam ist todkrank, hatte sich bereits in ein Hospiz fernab der quälenden Zivilisation zurückgezogen und sehnt sich lediglich nach einer letzten Pizza. Als menschliches Sterbe- und Sterbehilfedrama erzählt „A Quiet Place: Tag Eins“ nun von Anklängen der Solidarität und Barmherzigkeit inmitten des Aussichtslosen. Immerhin: Im Gegensatz zu den vorherigen Teilen handelt „Tag Eins“ vom utopischen Potential zufälliger Begegnungen und menschlicher Interaktion, nicht von deren Gefahr. Die Monster sind dabei nebensächlich.

Eine Zuflucht finden Sam und ihr Weggefährte (Joseph Quinn) etwa in den Ruinen einer Kirche. Die Katastrophe scheint zwischen Spielfilm und Realität eine zumindest zeitweise Empfängnis für das Religiöse zu bereiten. Durch die Trümmerteile des Gebäudes fällt sakrales Licht und erhellt die Bühne für einen Akt der Nächstenliebe. Diese sentimental inszenierte Hinwendung zum Skelett eines Glaubens dient „A Quiet Place: Tag Eins“ als eine Station von vielen. Eine Wegmarke auf der Suche nach einenden, ganz intuitiv erfahrbaren Emotionen. Viel mehr will dieses Kino offenbar gar nicht erreichen. Eine süße Katze soll den übrigen kalkulierten Seelenbalsam reichen.

Lupita Nyong'o und Joseph Quinn in einem U-Bahnhof
Sam findet einen Weggefährten auf ihrer Reise. Foto: 2023 Paramount Pictures. All Rights Reserved.

„A Quiet Place“ verfolgt die Suche nach den verlorenen Ursprüngen

Als Gesellschaftsporträt erlangt die Odyssee einer Sterbenden derweil zweischneidige Gestalt. Neben dem Actionfilm „Furiosa“ ist dieser Hybrid aus Horror, Katastrophenfilm und Drama ein weiteres Werk, das seine Figuren auf eine vergebliche Suche nach Mythen, familiären Erinnerungen, einem Ursprungsort und einer verlorenen oder nie existenten Fantasie schickt. Michael Sarnoski nimmt solche aussichtslosen Prozesse als Anlass einer dramatischen Verzögerung, ehe seine siechende Welt den erlösenden Abschied auskosten kann. Mögliche Neuanfänge findet er ganz woanders, oder besser: Er vertagt die tiefere Suche nach ihnen in ein unsichtbares Morgen. Teil 4 kann kommen.

Erste Ansätze erkennt er in den aufgetrennten Spannungen zwischen Isolation und Gemeinschaft, Ausharren und Aufbrechen, zwischen der Hinwendung zur Vergangenheit und Zukunft. „A Quiet Place: Tag Eins“ gelangt dadurch erzählerisch an eine interessante Weggabelung und die Figuren werden zu Trägern einer Parabel. Doch welchen Aufschluss bietet sie schlussendlich? Ihre Pointe ist hoffnungsvoll und deprimierend düster zugleich. Dass sie der finale Ertrag dieser knapp 100 Minuten Laufzeit sein soll, zeugt jedenfalls von Selbstbewusstsein, wie konzentriert die „A Quiet Place“-Reihe erzählen kann. Sie bringt aber auch ihre kaum zu leugnende Orientierungslosigkeit in den Wirren der Gegenwart zum Vorschein.

„A Quiet Place: Tag Eins“ läuft seit dem 27. Juni 2024 in den deutschen Kinos.

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