![Kein-Tier-So-Wild Kenda Hmeidan in "Kein Tier. So Wild"](https://www.digitalfernsehen.de/wp-content/uploads/2025/02/Kein-Tier-So-Wild-696x400.jpg)
Burhan Qurbani („Berlin Alexanderplatz“) hat mit „Kein Tier. So Wild.“ einen weiteren Literaturklassiker neu adaptiert. Starkes deutsches Kino!
In diesem Film verlangt Richard III., der berühmte Shakespeare-Unhold, nicht nach einem Pferd, sondern seinem Jaguar im Moment seiner Niederlage. Es ist nicht das einzige Sprachspiel. Das Kokettieren mit dem Originaltext, der alten Kunstsprache des 16. Jahrhunderts und dem modernen Bruch und Slang durchzieht diesen gesamten Film. Als literarische Adaption ist das noch radikaler geglückt als in Burhan Qurbanis Vorgängerfilm „Berlin Alexanderplatz“ und der Verfremdungseffekt, der sich dabei einstellt, ist erstaunlich.
„Berlin Alexanderplatz“ fragte vor wenigen Jahren, wie es wohl aussehen würde, verpflanzte man den berühmten Alfred-Döblin-Roman aus dem Jahr 1929 in unsere Gegenwart. Aus Franz Biberkopf, der Hauptfigur der Vorlage, wurde so ein Migrant namens Francis, der nach seiner Flucht nach Deutschland der Kriminalität verfällt. Qurbani unternahm damit eine interessante Aktualisierung und Neubetrachtung des Stoffes. Mit seinem neuen Werk „Kein Tier. So Wild“, das diese Woche auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte, wagt der 1980 geborene Filmemacher Vergleichbares. Dieses Mal ist eben, wie eingangs genannt, der Barde Shakespeare an der Reihe und eines seiner berühmtesten Theaterstücke: „Richard III.“.
Burhan Qurbani erzählt Shakespeares Drama aus neuer Perspektive
Qurbanis Verfilmung verpflanzt den brutalen Konflikt zwischen den Familien York und Lancaster in die heutige Berliner Unterwelt. Die Yorks und Lancaster sind hier zwei verfeindete arabische Clans. „4 Blocks“ trifft Elisabethanisches Theater, so könnte man es herunterbrechen. Aus Richard, der sich zur Krone meuchelt und intrigiert, wird dabei eine ehrgeizige junge Frau namens Rashida aus dem Hause York. In ihrer von Männern beherrschten Welt hat sie nicht viel zu melden, doch schon bald setzt sie sich mit Eiseskälte gegen ihre Unterdrücker durch, um dieses Herrschaftssystem aufzubrechen und an dessen Spitze zu landen. Rashida mausert sich zur Tyrannin und „Kein Tier. So Wild.“ zum herausragenden Kino, in dem der Frieden immer nur die nächste kriegerische Eskalation vorbereitet.
Die mediale Überlagerung ist höchst beeindruckend gelungen. Sie ist vernarrt in diese geschliffene Theatersprache, die gerade Kenda Hmeidan, die Hauptdarstellerin, mit packend bösartiger Giftigkeit, Wut und verzweifeltem, unterschwelligem Schmerz vorzutragen versteht. Man hängt durchweg an ihren Lippen, wenn sie ihre Schwüre und Listen in die Kamera spricht und ihr Umfeld gewieft an der Nase herumführt.
Qurbanis Spiel mit Shakespeares Originaltext, der natürlich eine gewisse Konzentration beim Sehen erfordert, ergibt eine hochexplosive, abgründe Mischung, wenn es auf diese Bilder des zeitgenössischen Gangsterkinos trifft. Gerade seine Räume sind ausgeklügelte, bildgewaltige Installationen. Eine Traumsequenz mit surrealen Zeitlupenbildern von brutalen Morden und explodierenden Körpern erinnert an die überformte Schönheit und Neon-Ästhetik, wie man sie am ehesten aus Filmen von Nicolas Winding Refn („Drive“) kennt. Dass sich „Kein Tier. So Wild.“ im Verlauf immer stärker in die Künstlichkeit dieser Bilder und psychotisch anmutenden Gedankenwelten seiner Hauptfigur zurückzieht, ist ein Kniff, der die ganze Gewaltspirale nur noch surrealer und betörender erscheinen lässt.
„Kein Tier. So Wild“ ist herausragendes Gangster-Kino
Ein Großteil des Films spielt in einem seltsamen Bühnen- und Zwischenraum, begrenzt mit Plastikfolien, als habe man den Tatort bereits vorbereitet, damit das Blut umso hemmungsloser fließen und spritzen kann. Gespielt wird auf sandig dreckigem Boden; eine Pfütze blubbert und brodelt an einer Stelle wie ein Hexenkessel. Bei den Lancasters dreht sich ein kunstvoll verstümmelter, entblößter Männerkörper als grauenerregende Statue auf einer Scheibe. Das Elementare, Archaische und die Gewalt sind diesen Bildwelten eingeschrieben. Vereinzelt aufgebaute Kulissenteile erscheinen wie gespenstisch öde Ruinen. Dazu flirren mal elektronisch wabernde Klänge, dann dröhnen und trommeln bedrohlich die Kriegstrommeln und akustischen Donnerschläge, die dieses Gewalttheater noch zusätzlich mit Zäsuren und Betonungen versehen. Zwischentitel und Texttafeln strukturieren den Film.
Das Überformte und Artifizielle all dieser Eindrücke verhindert zugleich, dass „Kein Tier. So Wild.“ eine ähnlich dringliche Aktualisierung Vergegenwärtigung seiner Vorlage meistert, wie es „Berlin Alexanderplatz“ gelang. Dafür bleibt er zu deutlich in der theatralen Kulissenhaftigkeit und bruchstückhaften Illusion verortet, die zweifellos fasziniert, aber dem politischen Subtext wenig Einleuchtendes, Kohärentes abgewinnen kann.
Qurbani will hier ebenso etwas über Kriegsgewalt, westliche Bigotterie, blinde Flecken und den Blick einer Mehrheitsgesellschaft auf derlei Clan-Welten verhandeln. Seine theatrale Spiel- und Inszenierungsform verwandelt sich allerdings immer mehr in eine künstlerische Mauer, die rings um diese Themen gebaut wird. An Realismus liegt diesem dennoch sehenswerten und diskussionswürdigen deutschen Film jedenfalls wenig. Am großen, überhöhten Gangster-Epos und poetischer Filmkunst im wahrsten Sinne umso mehr.
„Kein Tier. So Wild.“ feierte seine Weltpremiere als Berlinale Special Gala im Rahmen der 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Am 8. Mai 2025 startet der Film regulär in den Kinos.